Buchkritik: Michel Houellebecq - "Unterwerfung"
Die Feuilletons dieser Welt finden ja oftmals blumige Worte, um Romane zu umschreiben. Nicht selten sind diese Worte dann beim Nachlesen kreativer als die Romane, die sie beschreiben. Eines dieser Adjektive ist "erschütternd". Nun haben es noch nicht viele Romane geschafft, mich im eigentlichen Wortsinn zu erschüttern, das heißt, mein Inneres aufzuwühlen, meine Gedanken kreisen zu lassen und mich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend zurückzulassen. Michel Houellebecs schon vor seinem Erscheinen extrem umstrittenes "Unterwerfung" hat es aber geschafft. Nur selten, vielleicht gar noch nie, hatte ich ein so dringendes Verlangen, einen Roman unbedingt schnell auszulesen – und gleichzeitig so viel Angst davor.
Nun kann "Unterwerfung" natürlich nichts für die Umstände, in denen es erschien: Der Anschlag auf "Charlie Hebdo", die Attacke auf den jüdischen Supermarkt in Paris, das Klima des religiös aufgeladenen Hasses. Und doch fällt es schwer, dieses Werk losgelöst davon zu betrachten. Das Szenario, das Houellebecq entwirft – im Frankreich des Jahres 2022 kommt die Partei der Bruderschaft der Muslime an die Macht und beginnt mit einer allmählichen Reform der Gesellschaft, fleißig unterstützt von der herrschenden politischen Klasse, die frühere Grundsätze nur zu gerne über Bord wirft – ist keineswegs so unrealistisch und fantastisch wie man meint. Houellebecq beschreibt diesen Wandel nicht mit Polemik, Spott oder gar Hass, weshalb der Vorwurf, er sei ein Islamhasser, völlig überzogen ist (wenn auch frühere Aussagen des Autors nicht zwingend auf eine große Liebe zum Islam schließen lassen). Was er zeigt, ist im Grunde die Sehnsucht so vieler Menschen nach einem "starken Mann", um sie aus der Verwirrung zu führen. Der starke Mann ist im Buch Mohammed Ben Abbes, charismatischer Führer seiner Partei und zielstrebiger Machtpolitiker. Doch das wahrlich Erschütternde an Houellebecqs auf großartige Weise in das Alltagsleben des Protagonisten - eines intellektuell und sexuell frustrierten Hochschullehrers an der Universität Paris-Sorbonne – eingeflochtener Spielerei ist, dass sie auch im Deutschland der 1930er hätte stattfinden können. Nein, dass sie in brutalerer Form und mit fataleren Folgen tatsächlich stattgefunden hat. Diese Erkenntnis verleiht "Unterwerfung" eine so große Kraft.
Houellebecq greift all die Widersprüche unserer westlichen Gesellschaft auf, ohne sie zu überspitzen. Er beschreibt treffend die Vereinsamung vieler Menschen in unserer ach so vernetzten Welt. Er bildet die Gier nach Aufmerksamkeit und Erfolg, die so viele Zeitgenossen dem persönlichen Glück vorziehen, nüchtern und ehrlich ab. Und doch wäre "Unterwerfung" als Gesellschaftspanorama nur halb so effektiv, würde nicht ein großer Autor im Hintergrund die Fäden ziehen. Wie Houellebecq seine Handlung entfaltet, wie er die langsame Umwandlung der französischen Gesellschaft beschreibt und die grenzenlose Eitelkeit seiner Intellektuellen Elite, das ist großes Kino. "Unterwerfung" war mein erster Roman von Houellebecq, um den ich bislang aus diversen Gründen einen Bogen gemacht hatte (unter anderem, weil mir der Autor aufgrund seiner medialen Auftritte nur sehr bedingt sympathisch erschien). Doch er wird nun garantiert nicht mein letzter von ihm sein.
Weiteren Senf zu weiteren Büchern habe ich hier abgegeben