Der Nobelpreisträger mit der Gitarre

Ich will ehrlich sein. Als mich die Mitteilung erreichte, dass Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis erhält, war meine erste Reaktion: "Toll, endlich mal ein Preisträger, den ich schon vor der Vergabe kannte!" Und erst in der zweiten Reaktion fand ich es toll, dass ein so begnadeter Musiker, Lyriker, Chronist und, ja, Künstler im wahren Wortsinn die bedeutsamste literarische Auszeichnung unserer Zeit erhält.

In den letzten Jahren haben viele wunderbare Autoren den Nobelpreis erhalten und sich so einer noch breiteren Weltöffentlichkeit präsentieren können. Patrick Modiano etwa habe ich erst durch seine Auszeichnung 2014 überhaupt kennen gelernt, und mittlerweile habe ich fast alle seiner nostalgischen, in schwarz-weiße Melancholie gefärbten Romane aus dem Paris von früher gelesen (eine kurze Kritik zu "Eine Jugend" gibt es hier).

Nun hat aber einer den Nobelpreis erhalten, dessen Name wohl so ziemlich jedem Erdenbürger bereits etwas sagte. Egal, wie viele Lieder Dylans man tatsächlich gehört und rezipiert hat – der Name Bob Dylan ist einer, der seit Jahrzehnten im Allgemeinwissen verankert ist, vermutlich ein wenig wie der von Bob Marley oder Che Guevara. Und so einer erhält den Literatur-Nobelpreis?

Seit wann sind Musik und Poesie verschiedene Dinge?

Tatsächlich hat kaum eine Nobelpreis-Vergabe in den vergangenen Jahren derart kontroverse Reaktionen ausgelöst. Neben die zahlreichen erfreuten Kommentare stellten sich auch viele, die lautstark fragten, ob ein Musiker überhaupt eine Literatur-Auszeichnung erhalten darf. Wofür gäbe es denn dann die Grammys, fragten sie. Denn Musik mit Gitarre, Klavier, Schlagzeug und Bass, das habe ja wohl nichts mit Literatur zu tun. Das sei, als würde man einen Handballer für seine sportlichen Leistungen zum Fußballer des Jahres wählen.

Puh. Das ist nun aber so kurzsichtig gedacht, dass die Brille, die man diesen Leuten reichen möchte, gar nicht genug Sehstärke haben kann. Um im vorigen Vergleich zu bleiben: Der Handballer Dylan wurde eben nicht zum Fußballer des Jahres gekürt, sondern zum Sportler des Jahres. Musik und Literatur, beziehungsweise Poesie, sind nicht zwei voneinander getrennte Sphären. Sie sind beide Kunst, sie gehören zur selben Ebene. Sie existieren nebeneinander und befruchten einander schon seit Jahrtausenden. Egal, ob es die alten Griechen waren, die Sagen und Mythen in Reimform vortrugen, ob es die Minnesänger des Mittelalters waren, die sich mit einer Laute begleiteten, oder ob es eben der Amerikaner Robert Zimmermann alias Bob Dylan mit seiner Gitarre und Begleitband ist, der die Zustände auf "Maggie's Farm" und in "Like a Rolling Stone" die ewige Geschichte von Aufstieg und Fall besingt: Was ist Musik anderes als die Vertonung von Poesie? Anders gefragt: Wie kann man der Musik das Literarische absprechen? Niemand, der je die zwischen Mitgefühl, Polemik und Traurigkeit schwingenden Zeilen von "Like a Rolling Stone" gelesen oder gehört hat, kann das.

Ah, you never turned around to see the frowns /
On the jugglers and the clowns when they all did tricks for you /
You never understood that it ain't no good /
You shouldn't let other people get your kicks for you

You used to ride on the chrome horse with your diplomat /
Who carried on his shoulder a Siamese cat /
Ain't it hard when you discover that /
He really wasn't where it's at /
After he took from you everything he could steal?

Natürlich gibt es instrumentale Musik: Klassik, Jazz, Progressive Rock, was weiß ich. Natürlich gibt es Dieter Bohlen mit seinen Texten, die von echter Poesie so weit entfernt sind wie Bad Tölz vom Mond. Das ändert aber nichts daran, dass große Literatur eben nicht nur auf Buchseiten stattfindet. Sie kann auch gesungen und musikalisch untermalt werden. Mein Verdacht ist ja, dass alle, die jetzt eingeschnappt auf den Nobelpreis für Bob Dylan reagieren, für Verlage oder Buchhandlungen arbeiten. Denn die schauen jetzt in die Röhre, die ansonsten garantierten tausendfachen Verkäufe des jeweils neuen Preisträgers gehen ihnen durch die Lappen. Mein Mitleid sei ihnen sicher. Das ändert aber nichts daran, dass der Literatur-Nobelpreis einen absolut würdigen Preisträger gefunden hat.