"Vor der Morgenröte" - eine meisterhafte Hommage an Stefan Zweig


Copyright: X-Verleih / Warner

Vielleicht ein Wort vorneweg zu Stefan Zweig. Meine Faszination für seine Werke reicht schon recht lange zurück. Von all den Schullektüren, die ich lesen sollte/musste/durfte, ist mir allein die "Schachnovelle" positiv im Gedächtnis geblieben. Ich las sie an einem Tag im Schulbus komplett durch und dann gleich noch einmal. Während meines Studiums las ich das Buch erneut mit noch größerer Begeisterung, verschlang daraufhin als nächstes die "Sternstunden der Menschheit", später auch die Autobiographie "Die Welt von gestern" und natürlich die meisterhaften kürzeren Erzählungen wie "Angst", "Amok" oder "Verwirrung der Gefühle". Wie schon bei seinem Fast-Zeitgenossen Arthur Schnitzler faszinierte mich bei Zweig stets die Fähigkeit, frei von jeglichem Pathos Gefühlszustände von Menschen zu beschreiben und völlig glaubhafte Welten zu erschaffen, in denen es vor Anspielungen auf die Realität und die Zeitumstände nur so wimmelt. Diese Art zu erzählen hat mich tief beeindruckt und sich unzweifelhaft auch stark auf mein eigenes Schreiben ausgewirkt. Wenn ich heute zum Beispiel die frühe Erzählung "Wir waren jung" lese, dann scheint da durchaus ein in die Moderne transportierter Stefan Zweig durch.

Vor diesem Hintergrund überrascht es doch ziemlich, dass die Arbeit zum Film "Vor der Morgenröte" so völlig an mir vorbei ging. Zumal mit Josef Hader auch einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler die Hauptrolle verkörpert. Entsprechend von den Socken war ich, als ich vor wenigen Tagen eher zufällig über den Trailer stolperte: Ein Film über die Exiljahre Stefan Zweigs bis hin zu seinem Selbstmord im brasilianischen Petrópolis 1942, bis in die Nebenrollen exzellent besetzt (u.a. mit Matthias Brandt). Klar, dass ich nach Kinostart nicht lange fackelte. Und selten kam es vor, dass ich ein Kino nach dem Abspann mit größerer Begeisterung verließ.

Ein zurückhaltendes und trotzdem intensives Meisterwerk

"Vor der Morgenröte" – der Titel übrigens eine Anspielung auf die Schlussworte von Zweigs Abschiedsbrief – ist ein ebenso zurückhaltender wie intensiver Film. Mit unbeschreiblich großer Liebe zum Detail beleuchtet er schlaglichtartig verschiedene Stationen in Zweigs letzten Lebensjahren. So sieht ihn der Zuschauer etwa auf einem Schriftstellerkongress des PEN-Klubs in Buenos Aires, wo die Distanz zwischen ihm und anderen Exil-Schriftstellern deutlich wird. Zweigs gnadenloser Pazifismus gestattete es ihm nicht, wie viele Kollegen martialische Reden gegen das Hitler-Regime zu halten und ihm den kompletten Untergang zu wünschen – denn dies hätte für ihn bedeutet, dass er das Leid der Zivilbevölkerung hätte gutheißen müssen. Man sieht ihn später in seiner brasilianischen Wahlheimat von einem Empfang zum nächsten hetzend. Mal im Gouverneurspalast, mal bei einem Provinzbürgermeister im Dschungel, wo die eilends herbeigekarrte Dorfkapelle für den prominenten Gast eine hinreißend schiefe Version des "Donauwalzers" spielt. Man spürt die Zwickmühle, in der Zweig steckte und in der er sich langsam aufrieb: Zwar war er vor dem Nazi-Terror sicher, musste als Jude in Amerika keine Konzentrationslager fürchten und konnte weiter schreiben – doch eben dazu kam er aufgrund der Umstände kaum noch. Pausenlos musste er sich für Freunde und Kollegen einsetzen, denen noch kein so glückliches Schicksal beschieden war. Bittgesuche und Botengänge waren für ihn an der Tagesordnung, und Einladungen abzulehnen konnte er sich nicht leisten. Ein Entwurzelter, dessen Heimat gerade in einem mörderischen Krieg unterging, umringt von Menschen und doch immer ein wenig einsam.

Geradezu meisterhaft wird der Film zum Ende hin, als Zweigs letzte Lebensmonate beschrieben werden. Man sieht ihn an der Seite seiner zweiten Frau Lotte in Petrópolis, man sieht, dass er dort Freunde hat, man sieht das Geschenk, das er zu seinem 60. und letzten Geburtstag erhält – einen jungen Hund, man sieht sein Lachen. Und in der nächsten Szene, nur vier Monate später, liegen Lotte und er tot im Bett. Vergiftet, vor dem scheinbar endlosen Krieg kapitulierend, der am anderen Ende der Welt stattfand und doch so nah war. Diese Schlussszene zieht ihre Magie aus der Tatsache, dass die Kameraeinstellung sich allein auf einen Spiegel an einer Schranktür richtet, die geöffnet und geschlossen wird, wodurch das Bett mit den Toten immer nur kurz ins Blickfeld rückt. Eine Szene, die gespenstisch nah geht.

Josef Hader so melancholisch wie nie

"Vor der Morgenröte" ist ein grandioser Film, der den Zuschauer mitten hinein in diese scheinbar kämpferische und doch verzweifelte Gestalt Stefan Zweig katapultiert. Zwar ist der von Maria Schrader toll inszenierte Film nicht für alle leicht zugänglich. Denn er setzt voraus, dass man sich zumindest ein wenig mit dem Leben und Werk Stefan Zweigs und seiner Zeitgenossen auskennt. Doch dann lohnt er sich auf eine Weise, die sich selten erlebt habe. Nicht nur wegen der großartigen schauspielerischen Leistung Josef Haders, der sich hier bewusst etwas zurücknimmt und so der ihm schon immer innewohnenden Melancholie freien Lauf lässt. Sondern auch wegen der Ensembleleistung, wegen der Liebe zum Detail – und wegen der großen Würdigung für Stefan Zweigs Lebensleistung, die aus jeder Minute des Films spricht.