Bemerkenswerte Bücher #1 / 2017

Da ich sowieso ständig Bücher lese - ein Krankheitsbild, das vermutlich auf meinen Nachnamen zurückzuführen ist - möchte ich es zur Gewohnheit machen, einige besonders gute Werke zu empfehlen. Das wird alle paar Monate der Fall sein, wenn ich halt Lust dazu habe. Frühere Buchempfehlungen meinerseits sind übrigens hier sowie hier zu finden.

Benedikt Feiten – Hubsi Dax (Verlag Voland & Quist)

Na gut. OK. Ich gebe es ja schon zu, dass ich den Autor von "Hubsi Dax" persönlich kenne. Ich kann aber mit Fug und Recht behaupten, dass mir dieses Buch auch dann große Freude bereitet hätte, wenn ich mit dem Autor nicht schon privat das ein oder andere Bier getrunken hätte. Einige davon auch in Giesinger Wirtshäusern. Und das spannt den Bogen zu "Hubsi Dax", dieser wunderbar schrägen Hommage an Münchens illustres Arbeiterviertel. Benedikt Feiten hat ein Buch geschrieben, das auf vielen Ebenen funktioniert. Am Offensichtlichsten ist dabei vermutlich die Ebene der Gentrifizierungskritik – schließlich erfindet Protagonist Mark (guter Name übrigens) aus der Not heraus die namensgebende Titelfigur, damit sein Wohnhaus unter Denkmalschutz gestellt und so vor der drohenden Luxussanierung geschützt wird. Eine Mischung aus Karl Valentin und Weiß Ferdl soll der legendäre Hubsi Dax gewesen sein, ein Wirtshaussänger mit klarem Blick auf die Gesellschaft und dem Herz am richtigen Fleck, wie es sie in München zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuhauf gab. Doch abgesehen von diesem brillianten Twist funktioniert "Hubsi Dax" durchaus auch als Entwicklungsroman. Protagonist Mark, dessen Gedanken im Stream-Of-Consciousness herrlich detailliert abgebildet sind, schleppt sich mehr oder weniger antriebslos durch sein Dasein und muss auf die beiden Frauen in seinem Leben vertrauen, um alles wichtige zu regeln und den Laden am Laufen zu halten: Seine patente Frau Ida und die kleine Tochter Maja, die so viel erwachsener und vernünftiger ist als er selbst. Erst der drohende Rauswurf aus dem geliebten Wohnhaus schafft es, ihn aus der Lethargie seines Alltags zu befreien. Das alles ist mit so viel Empathie und stellenweise so gnadenlos lustig geschildert, dass man das Buch kaum zur Seite legen kann. Ein Panoptikum an schrulligen Figuren, jede Menge Lokalkolorit und ein faszinierender Erzählton – mehr braucht es nicht, um "Hubsi Dax" zu einem bemerkenswert guten Roman zu machen. Übrigens unbedingt auch für Nicht-Münchner empfehlenswert.

Mercedes Lauenstein – Nachts (Aufbau Verlag)

Es gibt ja viele Sinnsprüche, die sich mit der späten Stunde beschäftigen, etwa: "Die Nacht hat ihre eigenen Gesetze". Wer schon einmal um drei Uhr nachts durch die Großstadt gelaufen ist, merkwürdige Gestalten bei merkwürdigen Gesprächen belauscht oder sich über ein einsames erleuchtetes Fenster in einem ansonsten stockdunklen Hochhaus gewundert hat, kann diese Aussage wohl bestätigen. In Mercedes Lauensteins Debüt besucht eine namenlose Erzählerin in 25 kurzen Kapiteln einsame und nachtaktive Menschen in ihren Wohnungen. Sie streift durch die Stadt und ist selbst auf der Suche, ohne genau sagen zu können, wonach genau. Möglicherweise hofft sie, es in den Personen zu finden, die sie zwischen zwei und fünf Uhr morgens besucht. Zum Beispiel den Zahnarzt im Ruhestand Hardy, der penibel die Erinnerungen an sein gesamtes Leben sortiert. Oder Katy, die mit fanatischem Eifer die ganze Welt bereist und nachts wachbleibt, um Reise über Reise zu planen. Oder den Taxifahrer Gustav, der neben den Eltern seiner toten Frau wohnt und den das Weinen seines Schwiegervaters vom Schlafen abhält. In klarer und einfacher Sprache geschrieben, kommt "Nachts" diesen Leuten nahe – aber nicht zu nahe. An keiner Stelle wird der Ton pathetisch oder kitschig. Stets erhält man als Leser genug Einblick in das Leben dieser schlaflosen Menschen, um mitfühlen zu können, trotzdem zwingt Mercedes Lauenstein deren Sichtweise nie auf. Ein sehr interessantes und gut lesbares Buch.

Alastair Bonnett – Die seltsamsten Orte der Welt (Verlag C.H. Beck)

Das Interesse an abgelegenen und quasi unerforschten Orten nimmt in dem selben Maße zu, in dem unsere Welt durch Google Earth und Wikipedia aller Geheimnisse beraubt wird. Nie war es so einfach, an exotische Orte zu gelangen, deren Namen man früher höchstens auf dem Globus oder in Abenteuerromanen gelesen hat. Um so mehr sehnt sich der Mensch offenbar nach Orten, die wirklich schwer bis unmöglich zu erreichen sind. Diese Erkenntnis schickt auch der englische Universitätsprofessor Alastair Bonnett seinem höchst unterhaltsamen Buch "Die seltsamsten Orte der Welt" voraus. Er versammelt hier Orte, die aus der Reihe tanzen: Plötzlich aufgetauchte und wieder verschwundene Inseln, unterirdische Städte, verlassene und vom Militär abgeriegelte Orte oder Gebiete, die zu zwei Staaten gleichzeitig gehören. Außerdem beschäftigt er sich, was ich fast am faszinierendsten finde, mit einem "Nicht-Ort", der in jeder größeren Stadt zu finden ist: Der gemeinen Verkehrsinsel. Ein Sachbuch, das auch all jenen gefallen dürfte, die keine Sachbücher mögen. Und natürlich allen mit einem Sinn für das Abseitige.

Daniel Kehlmann – F (rowohlt)

Ich gebe offen zu, dass ich eine Schwäche für Kehlmanns Bücher habe. Wenn auch nicht für alle: "Mahlers Zeit" und "Der fernste Ort" etwa waren mir beide zu verschwurbelt und sonnten sich zu sehr im Glanz ihrer durchaus netten Plots. Aber wenn Kehlmann seine bemerkenswerten Ideen mit klarer Sprache und stringenter Handlung verknüpft, ist das Ergebnis immer beste Unterhaltung. So war es bei "Die Vermessung der Welt", so war es auch beim wunderbar süffisanten "Ich und Kaminski", im Kurzgeschichten-Roman "Ruhm" und auch in seinem bislang aktuellesten Roman "F". Die Geschichte einer weitgehend dysfunktionalen Familie, in der jeder seine eigene Last zu schultern hat, schildert Kehlmann in genau dem richtigen Ton: Trocken, distanziert und doch sehr gewitzt. "F" spannt den Bogen von der einsetzenden Weltwirtschaftskrise, deren Gründe hier fast nebenbei verständlich erklärt werden, bis zu Kunstfälschung und der Frage, ob man wirklich religiös sein muss, um zu glauben. Das mag nun nach schwerer Kost klingen – ist es aber keineswegs. Ganz im Gegenteil ist "F" der vielleicht am besten lesbare Roman von Kehlmann seit "Die Vermessung der Welt".

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