Man hat ja sonst nichts zu tun: Ich habe alle Bücher, die ich im Jahr 2021 gelesen habe, in einer Excel-Liste festgehalten. Jeweils mit einer kurzen Bewertung und einem knappen Kommentar (der manchmal dann doch nicht so knapp ausfiel). Aus gegebenem Anlass, nämlich der Tatsache dass 2021 offiziell vorbei ist, möchte ich die Liste hier veröffentlichen.

Was mir selbst beim Durchsehen auffällt: Gefühlt hatte ich in den letzten 12 Monaten zwischen Familie, Arbeit, Corona und privaten Herausforderungen kaum Zeit zum Lesen. In Wahrheit hatte ich sie aber wohl doch – denn nicht weniger als 27 Bücher habe ich 2021 ausgelesen. Nach Adam Riese war es also etwa alle zwei Wochen Zeit für das nächste Buch. Wie ich das geschafft habe? Fragt mich etwas leichteres. Nicht eingerechnet ist dabei Donna Tartts knapp 1.000 Seiten langes Werk „Der Distelfink“, das ich vor dem Jahreswechsel noch fast zur Hälfte gelesen habe - das aber trotzdem unten in der Liste auftaucht, einfach weil es so gut ist.

Wenig überraschend kommt hingegen, dass die allermeisten Bücher von mir mindestens die Bewertung „gut“ erhalten haben. Denn Romane, die mir nicht gefallen, mich nicht fesseln oder handwerklich miserabel sind, lese ich im Normalfall nicht zu Ende. Ein paar mittelmäßige Wertungen haben es aber doch in die Liste geschafft, was im Sinne der Abwechslung ja auch wichtig ist.

Dass ich 2021 viel mehr Bücher von Männern als von Frauen gelesen habe, hat schlicht und ergreifend damit zu tun, dass ich viele Lücken bei zweien meiner Lieblingsautoren geschlossen habe – und die sind männlich und heißen Paul Auster und Georges Simenon. Immerhin stammt eines der Bücher, das mich im vergangenen Jahr am meisten beeindruckte, von einer Frau: „Die Wand“ von Marlen Haushofer.

Jetzt aber genug der Vorrede, es folgt die Auflistung aller von mir gelesener Bücher im Jahr 2021. Das heißt, einen letzten Hinweis werfe ich noch ein: Angegeben ist jeweils der Monat, in dem ich das Buch ausgelesen habe.

Januar

Georges Simenon - „Maigret stellt eine Falle“

Bewertung: gut

Kommentar: Einer der dramatischeren Maigret-Romane mit vergleichsweise viel „Action“. Die Jagd auf den Serienmörder, der Paris in Atem hält, hat – für Simenon ungewöhnlich – fast schon Hollywood-Potenzial. Und die Story weist auch genügend Wendungen auf, mit denen nicht zu rechnen war. Kein Wunder, dass „Maigret stellt eine Falle“ kürzlich noch einmal verfilmt wurde (Rowan Atkinson).

Juli Zeh - „Unterleuten“

Bewertung: mittel

Kommentar: So interessant das Setting und das Figurenensemble, so packend einige Passagen der Handlung, so wenig konnte mich das Buch am Ende wirklich begeistern. Kann und sollte man auf jeden Fall lesen, aber es ist aus meiner Sicht kein Meisterwerk.

(Über "Unterleuten" habe ich hier schon einmal etwas geschrieben)

Hilmar Klute - „Oberkampf“

Bewertung: gut

Kommentar: Ein süffisantes, anspruchsvolles und doch bestens zu lesendes Buch, ein Mittelding zwischen Künstlerroman und Roadtrip mit dem genau richtigen Hauch Zeitgeschichte. Der Ich-Erzähler kommt kurz vor den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ in Paris an, um eine Biografie über einen deutschen Autor zu schreiben, der dort lebt – und der ein ambivalenter, schwieriger Charakter ist. Die Handlung endet schließlich am Tag der Bataclan-Anschläge von Paris im Oktober 2015. Nicht nur dieser Bogen macht „Oberkampf“ so interessant, auch die Sprache hat mich sehr begeistert.

Februar

Georges Simenon - „Bellas Tod“

Bewertung: gut

Kommentar: Wie so viele „Nicht-Maigret-Romane“ von Georges Simenon ist dieser hier alles andere als ein klassischer Krimi – auch wenn gleich zu Beginn ein Mord geschieht. „Bellas Tod“ ist das spannende Psychogramm eines Mannes, der urplötzlich unter Mordverdacht gerät und nach und nach merkt, dass er keine Chance hat, aus dieser Sache noch herauszukommen.


Georges Simenon - „Maigret macht Ferien“

Bewertung: gut

Kommentar: Zwar ein „typischer Maigret“, aber an einem ungewohnten Ort: Dem Meer. Denn wie der Titel schon sagt, macht Maigret hier tatsächlich Urlaub an der Côte d'Azur. Und das auch noch zu weiten Teilen allein, da seine Frau am Urlaubsort ins Krankenhaus muss. Und genau dieser Umstand zieht den Kommissar dann gegen seinen Willen in einen Kriminalfall hinein. Der Stil ist eher beschaulich, aber nie belanglos. Simenon weiß genau, wo die Stärken Maigrets liegen, und die spielt er gekonnt aus, so dass es wirklich Spaß macht, den Ermittlungen zu folgen, die von den „einfachen Leuten“ bis in höchste Schichten führen. Insgesamt ein interessanter Fall mit einem filmreifen und spannenden Ende.

Marlen Haushofer - „Die Wand“

Bewertung: herausragend

Kommentar: Ein echtes Meisterwerk – selten hat mich ein Buch auf Anhieb so begeistert. Die schlichte Erzählweise unterstreicht die absolute Einsamkeit der Erzählerin in einer urplötzlich zum kompletten Stillstand gekommenen Welt und das Gefühl, dass hier wirklich das Ende der Menschheit gekommen ist. Ein Roman, der im Gedächtnis bleibt und den ich auf jeden Fall noch einmal lesen würde.

März

Paul Auster - „Leviathan“

Bewertung: mittel

Kommentar: Bestimmt nicht Paul Austers bestes Buch. Stellenweise interessant (vor allem zum mitreißend erzählten Ende hin), aber es gibt auch einige Längen und viel Geschwafel.

April

John Dos Passos - „Manhattan Transfer“

Bewertung: herausragend

Kommentar: Zu Recht ein Klassiker der amerikanischen Literatur – dieser Roman ist ein absolutes Meisterwerk. Atemlos und fesselnd mit seiner schlaglichtartigen Erzählstruktur; ein Buch aus den 1920er Jahren, das auch heute noch den pulsierenden Rhythmus von New York perfekt einfängt. Die Handlung zu beschreiben ist schwer, bei diesem Roman aber auch nicht nötig. Der Star ist in dem Fall die Stadt, sind ihre Bewohner und ihre (miteinander verschlungenen) Schicksale.

Georges Simenon - „Die Verlobung des Monsieur Hire“

Bewertung: gut

Kommentar: Interessante Charakterstudie eines seltsamen, zwiespältigen, unsympathischen und doch vermutlich zu Unrecht einer Straftat beschuldigten Mannes. Der Roman ist fast 90 Jahre alt und liest sich doch sehr modern.

Bad Religion & Jim Ruland - „Do What You Want – Die Bad Religion Story“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Natürlich nur für Fans der Band – wie mich – geeignet. Aber: Interessant, informativ, spannend und mit vielen Details. Auch wenn das Lektorat grausig ist und wirklich viele Fehler im Text sind.

Mai

Oliver Hilmes - „Berlin 1936“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Dieses Sachbuch über die Olympischen Spiele von 1936 ist ein großer Genuss – liest es sich doch überhaupt nicht wie ein Sachbuch, sondern in seiner Art, aus dem Leben ausgewählter Zeitgenossen zu schildern, eher wie ein biografischen Roman. Wer von der Aufmachung und vom Stil her an Florian Illies' „1913“ denkt, liegt bestimmt nicht falsch. „Berlin 1936“ ist interessant, informativ, stellenweise traurig, aber immer unterhaltsam – ein schöner Rückblick

Patrick Modiano - „Schlafende Erinnerungen“

Bewertung: gut

Kommentar: Ein typischer Modiano im besten Sinne, melancholisch, streckenweise sehr poetisch – und immer mysteriös mit einem naturgemäßg offenen Ende, das viel Raum zur Interpretation lässt.

Georges Simenon - „Der Uhrmacher von Everton“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Sicherlich einer der besten Nicht-Maigret-Romane von Simenon, die ich bisher gelesen habe. Ein alleinerziehender Vater mit einem ehrbaren Beruf in einer amerikanischen Kleinstadt muss mit ansehen, wie sein Sohn unter Mordverdacht gerät und plötzlich landesweit gesucht wird. Geschildert rein aus der Perspektive des Vaters, wahnsinnig fesselnd geschrieben und ohne zu moralisieren.

Juni

Benedict Wells - „Die Wahrheit über das Lügen“

Bewertung: gut

Kommentar: Interessanter Erzählband mit einigen guten und ein paar eher banalen Geschichten. Herausragend die Erzählung „Das Franchise“, die das „Star Wars“-Universum komplett auf den Kopf stellt und das Verhältnis von Fiktion und Realität auf irrwitzige Weise verdreht. Eine der unterhaltsamsten Erzählungen, die ich seit langem gelesen habe – aber auch abgesehen davon hat der Band einige Höhepunkte zu bieten.

Benedict Wells - „Vom Ende der Einsamkeit“

Bewertung: extrem gut

Kommentar: Dieser kommerziell sehr erfolgreiche Roman ist tatsächlich so großartig, wie ich angesichts des Hypes vor einigen Jahren vermuten konnte. Es gibt in diesem Buch mehrere Stellen, die zum bewegendsten zählen, was ich überhaupt je gelesen habe. Die erzählte Familiengeschichte ist über weite Strecken auch tatsächlich packend und der Erzähler authentisch und charismatisch. Sicherlich einer der besten deutschen Romane der letzten Jahrzehnte – auch wenn zum Meisterwerk vielleicht Kleinigkeiten fehlen. Nicht alle Passagen waren auf dem überragenden Niveau, das etwa der Handlungsstrang mit dem alternden Schriftsteller Romanow in den Schweizer Bergen hat. Aber, du liebe Zeit: der Autor, der dieses tolle Buch geschrieben hat, war bei Veröffentlichung erst knapp über 30 Jahre alt. Dass „Vom Ende der Einsamkeit“ im Gedächtnis bleibt, ist neben der stringent erzählten Handlung auch dem unerhört guten Spiel mit den Emotionen zu verdanken: Wer beim Schicksal, das Jules' Angebetete Alva ereilt, keine Träne vergießt, hat vermutlich noch nie jemanden geliebt.

Juli

Markus Ostermair - „Der Sandler“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Ein ungewöhnlicher Roman, der aus der Perspektive eines Obdachlosen über das Leben auf den Straßen Münchens erzählt. Doch auch die Rahmenhandlung – ein Freund des „Sandlers“ Karl stirbt und vermacht ihm den Schlüssel zu seiner Wohnung und damit die Möglichkeit zu einem Neustart – ist packend und spannend. Der Erzählton ist für diesen Stoff genau der richtige, weder allzu erdschwer, noch zu lapidar. Ein großes Lesevergnügen.


August

Paul Auster - „Die Brooklyn-Revue“

Bewertung: gut

Kommentar: Für Auster-Verhältnisse ein Buch wie ein Pop-Song: Eingängig, leicht zu konsumieren, unterhaltsam. An die erzählerische Wucht und die Komplexität von Romanen wie „Stadt aus Glas“ oder „Unsichtbar“ kommt die „Brooklyn-Revue“ bestimmt nicht heran. Aber dieser aus mehreren Erzählsträngen bestehende Roman macht trotzdem Spaß, nicht zuletzt weil die Protagonisten sympathisch sind: Der geheilte Krebspatient Nathan Glass, der eigentlich zum Sterben nach Brooklyn kam, sein Neffe Tom, einst ein hoffnungsvoller Akademiker und jetzt Aushilfs-Buchverkäufer in einem Antiquariat und dessen schillernder Chef Harry Brightman, ein Paradiesvogel mit dunkler Vergangenheit.

Jan Weiler - „Kühn hat Hunger“

Bewertung: na ja

Kommentar: Kein schlechter Krimi. Spannend inszeniert, teilweise erschütternd (die Beschreibung des Hungertodes der jungen Toten), und doch kein Buch, das ich noch einmal lesen würde. Die Hauptfigur Kühn ist zwar interessant, doch im Gegensatz zu den beiden Vorgängern wird die Charakterzeichnung hier etwas übertrieben. Und die Thematik „Der Zustand des Mannes in der heutigen Zeit“, die anhand des überzeichneten Männer-Diätratgebers eines belgischen Autors vorangetrieben wird, geht mir persönlich auf den Keks.

Paul Auster - „Reisen im Skriptorium“

Bewertung: mittel

Kommentar: Eines der rätselhaftesten Bücher von Paul Auster. Ich mag die klare, reduzierte Sprache, ich finde das Setting sehr interessant (ein alter Mann befindet sich in einem kargen Raum, weiß nicht, wo er ist und was er hier tut, ringt mit seiner Erinnerung, kämpft mit sich selbst und seinem schwachen Körper). Und als Fan des Autors verstehe ich auch die zahlreichen Referenzen auf seine anderen Werke. Und doch hat mich das Buch am Ende unbefriedigt zurückgelassen – man fragt sich, was Auster mit diesem Roman bezwecken wollte. Der Bezug auf den Stil der „New York-Trilogie“ ist klar erkennbar, doch im Vergleich zu, zum Beispiel, „Stadt aus Glas“, fehlt diesem Roman die packende Handlung.

September

Joey Goebel - „Vincent“

Bewertung: extrem gut

Kommentar: Ein unglaublich kreativer und Funken sprühender Roman. Die Story kurz angerissen: Ein Junge aus einfachen Verhältnissen und mit einer Unterschichten-Mutter aus dem Bilderbuch wird auserwählt, ein großer Künstler zu werden und die im seichten Dummheits-Morast steckende Mainstream-Kultur zu retten. Damit ihn ständig die Muse küsst, sorgt sein Manager (der Erzähler) dafür, dass ihm Leid widerfährt – Vincent darf nie glücklich sein. Denn bekanntlich entspringt große Kunst seelischem Schmerz. Das klappt über Jahre hinweg und lässt Meisterwerke entstehen, bis der Manager allmählich Skrupel an seiner Tätigkeit bekommt. Ich stimme Benedict Wells (der diesen Roman zu Recht angepriesen hat) in seiner Einschätzung zu: Dass „Vincent“ noch nicht verfilmt wurde, ist ein Rätsel und kaum zu erklären

Georges Simenon - „Die Fantome des Hutmachers“

Bewertung: herausragend

Kommentar: Auch wenn man sich bei der Fülle an Simenon-Romanen nur schwer festlegen kann: Das hier ist einer der allerbesten – zumindest der Beste, den ich bisher gelesen habe. Ein atmosphärisch unglaublich dichter, packender Krimi, wobei die Frage nach dem Täter hier schnell geklärt ist. Denn das gesamte Buch ist aus der Sicht des Täters geschrieben, und genau diese Perspektive auf seine zunehmend brüchig werdende Psyche macht den Roman so einmalig gut. Wer die Faszination verstehen möchte, die von Simenons Romanen ausgeht, muss diesen hier lesen

Benedict Wells - „Hard Land“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Eigentlich sind Coming-of-Age-Romane nicht mein Fall. Aber dieser im Jahre 1985 in einem Kaff in Missouri angesiedelte Roman ist so herzerfrischend geschrieben und dabei aber auch geschickt konstruiert, dass es eine wahre Freude war, ihn zu lesen. Zumal einem auch mit Ende 30 noch viele der Schwierigkeiten bekannt vorkommen, mit denen der 15-jährige Sam zu kämpfen hat. Zwar wandelt die Story manchmal nahe an der Kitschgrenze, doch wird diese nie überschritten. Benedict Wells hat zudem ein unglaubliches Händchen für einprägsame, zitierfähige Textpassagen, wie schon der allererste Satz beweist: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

Oktober

René Appel - „Ein Opfer der Umstände“

Bewertung: geht so

Kommentar: In den Niederlanden ist der Autor sehr bekannt und hat den Krimipreis für eben dieses Buch „Ein Opfer der Umstände“ gewonnen. In Deutschland kennt man ihn offenbar kaum, und das mag womöglich daran liegen, dass sein Stil nicht jedermanns Sache ist. Eigentlich finde ich es sehr gelungen, wie René Appel die verschiedenen Handlungsstränge, die er anfangs einführt, langsam und gemächlich zusammenbringt. Aber es geschieht halt sehr langsam und sehr gemächlich – die Story braucht lange, um sich richtig zu entfalten. Dann, etwa ab der Mitte des Buches, wird es auf einmal sehr interessant und man hat es mit der fragilen Psyche eines Mannes zu tun, der unversehens zum Mörder geworden ist. Trotzdem hat mich der Roman nur in Maßen überzeugt: Kein Reinfall, stellenweise packend, aber insgesamt zu beschaulich.

November

Sonja Heiss - „Rimini“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Ein Bild, das mir beim Lesen dieses Romans über eine aus vier im Grunde dysfunktionalen Charakteren bestehende Familie immer wieder einfiel: Dieses Buch ist wie ein Autounfall, den man im Vorbeifahren beobachtet. Man weiß, man sollte nicht hinschauen auf das brennende Wrack und die Verletzten, und dann tut man es doch, weil das Drama einen auf obszöne Weise fasziniert. So ähnlich verhält es sich auch bei „Rimini“: Die Rentner-Eltern machen sich ohne böse Absichten gegenseitig das Leben zur Hölle, der Sohn, erfolgreicher Rechtsanwalt, ist in einer grausamen Ehe gefangen, hat mit unerklärlichen Aggressionen zu kämpfen und verliebt sich beim Versuch, diese zu bekämpfen, auch noch in seine Therapeutin. Die Tochter wird mit 39 plötzlich vom Kinderwunsch gepackt und versucht zunehmend verzweifelt, schwanger zu werden. Sonja Heiss hat aber für jeden dieser schwierigen Menschen viel Zuneigung übrig und schreibt zudem mit wirklich schöner, teils witziger Sprache. Ich hätte angesichts des Plots nicht gedacht, dass „Rimini“ ein so großes Lesevergnügen wird.

Georges Simenon - „Der Schnee war schmutzig“

Bewertung: sehr gut

Kommentar: Ein sehr düsteres, gewissermaßen „amoralisches“ Buch. Wieder kein klassischer Krimi, wie so viele von Simenons „Non-Maigret-Romanen“. „Der Schnee war schmutzig“ spielt in einer tristen, grauen Nachkriegszeit, die von Hunger und Entbehrungen geprägt ist, in einer unbekannten Stadt, die von einer Besatzermacht beherrscht wird. Da es 1948 geschrieben wurde, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um Nachkriegsdeutschland handelt, wozu auch die Namen der Figuren passen würden. Jedenfalls ist hier ein junger Mann, der von den geltenden Werten und der bürgerlichen Moral völlig befreit, seinen Weg geht, dabei mordet und stiehlt, die ihn anhimmelnde Nachbarstochter an einen Freund für Sex „verkauft“. Doch eines Tages gerät er an den falschen und kriegt es mit der Besatzermacht zu tun. Besonders die zweite Hälfte des Romans, die in einem komplett neuen Setting spielt, hat mich schwer beeindruckt. Sicherlich einer von Simenons wuchtigsten und gleichzeitig hochklassigsten Nicht-Krimis.

Dezember

Ernst Keller - „Freising. Vergessene Geschichten“

Bewertung: gut

Kommentar: Ein Sammelsurium von skurrilen Anekdoten, Kriminalfällen und persönlichen Dramen aus dem Zeitraum vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert. In der damals noch viel ländlicheren Gegend rund um Freising und in der Stadt selbst haben sich mal amüsante, mal grausame Dinge abgespielt, die eine Zeitlang auch überregional für Aufsehen gesorgt hatten, dann aber in Vergessenheit gerieten. Ernst Keller hat sie akribisch recherchiert und aufgeschrieben – und das auf interessante, gut lesbare Weise. Weder zu flapsig und reißerisch, noch zu nüchtern-bieder im Stadtarchiv-Stil, sondern genau in der Mitte. Sind die Geschichten schon interessant genug, so ist dieses Buch überraschenderweise auch literarisch sehr gehaltvoll.

Paul Auster - „Die Erfindung der Einsamkeit“

Bewertung: gut

Kommentar: Aus gegebenem Anlass habe ich mir, wenige Tage nachdem mein Vater an Covid-19 gestorben war, dieses Buch aus der Stadtbibliothek ausgeliehen. Ich hatte schon unabhängig vom konkreten Anlass gehört, dass Austers erste reine Prosa-Veröffentlich eine „literarische Annäherung“ an seinen plötzlich verstorbenen Vater war – eine Person, die ihm trotz aller Nähe ein Leben lang fremd geblieben war. Tatsächlich fand ich „Die Erfindung der Einsamkeit“ auf mehreren Ebenen äußerst faszinierend zu lesen. Nicht nur, weil Paul Auster schon in seinem ersten „richtigen“ Buch seinen später so gefeierten Stil gefunden hat und ebenso präzise wie fesselnd schreibt. Zum anderen, weil ich nicht anders konnte als an einigen Stellen Parallelen zu meinem Verhältnis zu meinem Vater zu ziehen. Doch es braucht diese persönliche Verbindung gar nicht, um zumindest den ersten Teil des Buches schlicht großartig zu finden – das ist das Lebensresümee, das Paul Auster über seinen Vater und ihr Verhältnis zieht. Teil zwei gibt sich dann weitaus philosophischer, entrückter und auch ein wenig rätselhafter. Es bleibt ein persönliches Buch mit vielen privaten Anekdoten des Autors, aber plötzlich spricht er von sich in der dritten Person (als „A.“) und driftet zuweilen ins nebulöse ab. Die beiden Teile des Buches harmonieren aus meiner Sicht nicht optimal, sonst wäre es ein Meisterwerk. Aber auch so: Eine starke und für mich persönlich wichtige Leseerfahrung.

Donna Tartt - „Der Distelfink“

Bewertung: ausstehend

Kommentar: Work in Progress: Nach rund der Hälfte der 1.000 Seiten dieses opulenten und Pulitzer-Preis-gekrönten Romans bin ich begeistert. Donna Tartt erzählt üppig und mitreißend die Lebensgeschichte des jungen Theo Decker, der bei einem Bombenanschlag in einem New Yorker Museum seine Mutter und einzige Bezugsperson verliert.


Nicht zu Ende gelesene Bücher

Didi Drobna - "Als die Kirche den Fluss überquerte"

Bov Bjerg - "Serpentinen"