In der U-Bahn wurde ich neulich Zeuge eines Outings. Es war der Tag vor dem Auftaktspiel der Fußball-EM. Die Stadt bereits voll im Griff dessen, was Marketing-Abteilungen gerne unter dem Begriff "Fußball-Fieber" verkaufen. Keine noch so winzige Bäckerei ohne Jogi-Krapfen im Angebot, inklusive essbarer Deutschlandflagge. In diesem Umfeld also hörte ich die Worte, die mich zutiefst berührten.
Eine bunt gemischte Gruppe von Anzugträgern war auf dem Weg zu irgendeinem Afterwork-Business-Meetup und unterhielt sich natürlich über die bevorstehende EM. Plötzlich hörte ich einen aus der Gruppe fragen:
"Und wenn das erste Spiel in Paris ist, wer spielt dann da? Paris gegen Bayern oder wie?"
Es tat so gut, diese Worte zu hören. Hier war jemand, der ganz offensichtlich nicht die leiseste Ahnung hatte, worüber in den nächsten vier Wochen das ganze Land sprechen würde. Und dem das überhaupt nichts ausmachte.
Inmitten all der Fußball-Analphabeten, die sich nur des Gruppenzwangs wegen alle zwei bis vier Jahre hastig etwas Wissen zusammengoogeln oder in der BILD-Sonderausgabe anlesen, um dann in der Mittagspause Sätze fallen zu lassen wie: "Der Götze hat bei Bayern aber auch noch nie überzeugt, oder?" – inmitten all dieser Trendsurfer, denen der Fußball maximal als Partyevent etwas bedeutet, inmitten dieser großen grauen Masse erwies sich jener Mann in der U-Bahn als wunderbarer Farbtupfer.
Denn er tat nicht einmal so, als würde ihn Fußball tatsächlich interessieren, und war dadurch wenigstens authentisch.
Es ist überhaupt nicht schlimm, sich nicht für Fußball zu interessieren. Im Gegenteil, es ist zutiefst menschlich. Das sage ich als absoluter Fußballfan, der seit frühester Kindheit kaum ein im Fernsehen übertragenes Spiel versäumt hat, der sich als Fünftklässler in der Schulbibliothek lieber den Fünfhundert-Seiten-Wälzer "Geschichte des Weltfußballs" auslieh anstatt irgendein pädagogisch wertvolles Jugendbuch und der auch beim laufenden Turnier so viele Spiele wie möglich live verfolgen wird. Auch Rumänien gegen Albanien, wenn es sich ergibt.
Aber: ich finde es höchst sympathisch, wenn jemand wenigstens dazu steht, dass er Fußball nicht mag. Ich kann mit Handball auch nur bedingt etwas anfangen. Ist doch in Ordnung.
Warum trotzdem so viele Leute für wenige Wochen in eine Rolle schlüpfen – und diese auch meist amateurhaft spielen – bleibt ein Rätsel. Gesellschaftliche Anerkennung? Von mir kriegen sie die nicht. Das spare ich mir lieber für all jene auf, die den Mut zum Outing haben.