Wie hätte es wohl geklungen, wenn die frühen Beatles mit verzerrten Gitarren gerockt hätten, während im Studio gleichzeitig eine mexikanische Bläser-Combo Vollgas gibt? Vermutlich genau so wie dieser großartige Garagen-Rock-Köter von einem Song.
Vielleicht war das große Versprechen des Rock'n'Roll schon immer eine Lüge. Vielleicht haben Mick und Keith ihren Anhängern – oder sollte man sagen: Jüngern - in den sechziger Jahren genauso etwas vorgegaukelt wie es nach ihnen Led Zeppelin, Guns'n'Roses oder Nirvana taten.
Möglicherweise existiert der ultimative Moment der Loslösung, des In-der-Musik-Aufgehens, die der Rock'n'Roll seit jeher predigt, gar nicht. Die Hormone könnten uns da einfach einen Streich spielen, so wie es einem im Rausch der Liebe auch manchmal passiert, dass man etwas tut, was man hinterher nicht mehr so ganz nachvollziehen kann. Das, was da aus den Boxen schallt und uns in Ekstase versetzt, kann im Grunde nichts weiter als in Noten verpackte Mathematik sein.
Das ist alles möglich. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein, nämlich dass es die Momente sehr wohl gibt, in denen einfach alles passt. Die Augenblicke, in denen der Rock'n'Roll seinen Wahlspruch einlöst und, einem Gebirgsfluss gleich, alles mitreißt, was ihm im Wege steht. Wo einfach drauf los gespielt wird, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es nicht perfekt sein könnte. In einer Minute und dreiundvierzig Sekunden liefern Mando Diao auf ihrem vielleicht besten Song genau einen solchen makellosen Rock'n'Roll-Moment ab.
Jung, rebellisch, arrogant, großartig
"Chi Ga" ist den meisten Hörern, die Mando Diao aus dem Radio kennen, vermutlich kein Begriff. Was zu keinem geringen Teil daran liegt, dass dieses Kleinod nie auf einem regulären Album erschien, sondern ursprünglich als B-Seite auf der Single "Paralyzed" aus dem Jahr 2002 verpackt war. Später schaffte es "Chi Ga" aber immerhin auf die B-Seiten-Sammlung "The Malevolence of Mando Diao" und erfuhr dort eine verdiente Würdigung.
Wer diese unwiderstehliche Melange aus lauten Gitarren, feurigen Mariachi-Bläsern und übersteuertem Straßenköter-Gesang hört, diesen vor Kraft fast explodierenden Power-Pop, der spürt, was die schwedische Band in ihrer Frühphase so spannend gemacht hat. Bevor sie sich vom Formatradio einfangen ließen, waren Mando Diao nämlich genau das, was der Rock'n'Roll seit Jahrzehnten all jenen verspricht, die ihn spielen. Sie waren jung, rebellisch, arrogant und schlicht und ergreifend großartig. "Chi Ga" wohnt die selbe Energie inne wie allen Liedern aus der Ära ihres ersten Albums "Bring 'em in". Wo aber etwa in "Sheepdog", dem ersten kleinen Mando-Diao-Hit, die Gitarren mit schwitzenden Riffs die Hauptarbeit vollbrachten, sind es auf "Chi Ga" der treibende Beat und die messerscharfen Bläser. Und das alles mit klarer Sixties-Rock-Schlagseite. Hätten die Beatles der Jahre 1964 und '65 die Möglichkeit gehabt, ihre Gitarren bis zum Anschlag aufzudrehen und zu verzerren, und hätten sie sich zum Jammen eine mexikanische Mariachi-Combo im Mezcal-Rausch ins Studio eingeladen – so hätte das Ergebnis vielleicht geklungen. Weder lang, noch ausgefeilt, noch komplex, sondern einfach eine Minute dreiundvierzig purer Lebensfreude. Nein, der Rock'n'Roll war keine Lüge und kein leeres Versprechen, und Songs wie "Chi Ga" sind der Beweis dafür.