Dieses Boot hat das Zeug zum Britpop-Traumschiff. Ein unerhört grooviger Rocksong, der bestens gealtert ist. Von einer Band, die etwas in Vergessenheit geraten ist - teils zu Recht.
Britpop-Melodie trifft auf Hardrock-Swing
Schade, dass die volkstümliche Szene sich den Slogan „Melodien für Millionen“ gekapert hat. Hätten nicht Moik und Silbereisen ihre schmierigen Schunkelhände darauf, wäre das ein prima Claim für die Britpop-Ära gewesen. Denn wenn ich an Britpop denke, dann kommt mir genau das in den Sinn: Melodien. Und zwar von der Sorte, die jeder nach einmaligem Hören problemlos mitsingen kann. In der britischen Schule stand Eingängigkeit immer ganz oben auf dem Stundenplan, und das machte die Revivalwelle der 90er Jahre so grandios erfolgreich.
Oasis hatten das Spiel mit den eingängigen Melodien perfektioniert, aber es gab auch viele andere Bands, die Hymnen für die Ewigkeit durch die Radiowellen schickten. Wer etwa – um nur einige zu nennen - an Ashs „Oh Yeah“, Blurs „Country House“ oder The Verves „Bittersweet Symphony“ denken kann, ohne im Geiste die Refrains mitzusingen, kann vermutlich auch unbeeindruckt barfuß über glühende Kohlen laufen.
Was nun „The Riverboat Song“ von Ocean Colour Scene so besonders und gewissermaßen zu einem Unikat in der Britpop-Welle macht, ist dies: die Band aus Birmingham hatte eben nicht nur eine grandiose Melodie zu lauten Rockgitarren zu bieten. Sie würzte das Ganze mit einem lässig swingenden Groove. „The Riverboat Song“ wogt in einem rockigen 6/8-Takt über den Fluss, und das kann nun wirklich kaum ein anderer Chart-Hit von sich behaupten. Das hier klingt wie eine völlig logische Mischung aus dem Bluesrock der alten Eric-Clapton-Schule, harten Riffs von Led Zeppelin und der breitbeinigen Melodieseligkeit von Oasis. Anders gesagt: wie ein kurioses, großartiges Einzelstück.
Es brodelt etwas unter der Oberfläche
Schon das eröffnende Gitarrenriff fährt wie eine Säge in die Gehörgänge. Und sobald sich der angesprochene Power-Schunkelbeat darunterlegt, entfaltet „The Riverboat Song“ seine gesamte hypnotische Kraft. Eine Wirkung, die Simon Fowlers starker Gesang noch verstärkt:
„I see double / up ahead
Where the riverboat swayed beneath the sun /
is where the river runs red“
Dabei pirscht sich der Song in den Strophen zunächst noch an. Erst im Refrain werden die Gitarren so richtig laut, werden die Gesten groß, wird aus einem tollen Song eine Britpop-Hymne. Und das macht absolut Sinn, so wie alles, was Ocean Colour Scene in diesem Song anstellen. Man hat die kompletten fast fünf Minuten lang das Gefühl: hier brodelt etwas unter der Oberfläche. Es köchelt wie Lava in einem Vulkan. Das Riverboat schwankt, aber so lange es nicht untergeht, können wir wenigstens tanzen.
„Anyway / for all the things that you know
tell me why does the river not flow“
Effektvoll: Das Video zu "The Riverboat Song"
Der größte Moment einer Band, die sich treu blieb
Liest man sich die Kommentare unter dem Video zu „The Riverboat Song“ durch, fällt dort ein Schlagwort besonders oft: underrated. Die einen beklagen sich darüber, dass dieses Lied viel zu selten genannt wird, wenn es um die größten Britpop-Momente der Neunziger geht. Die anderen finden gleich die Band an sich und ihr gesamtes Werk unterbewertet. Beides ist nicht ganz falsch.
Wobei man bei letzterem Punkt ein bisschen einschränken muss: Ocean Colour Scene hatten ihre 15 Minuten Ruhm. Genauer gesagt waren es sogar etwa drei Jahre. Zwischen 1996 bis 1999 waren sie, zumindest in Großbritannien, ziemlich weit vorn – und stießen 1997 gar Oasis' „Be Here Now“ von der Spitze der britischen Albumcharts. Mit dem Ende des Britpop-Hypes gerieten sie zunehmend in Vergessenheit, was aber wohl seine Gründe hat.
Es mag vielleicht daran liegen, dass die Band ihren Sound nie groß verändert hat und so immer mehr zu einem nostalgischen Act aus einer alten Ära wurde. Gäbe es den ZDF-Fernsehgarten in Großbritannien, wären Ocean Colour Scene vermutlich spätestens 2012 mit einem Retro-Set bei Andrea Kiewel aufgetreten.
"Moseley Shoals" ist ein Album für die Ewigkeit
Ein weiterer Grund für das kommerzielle Abnippeln der Band liegt auf der Hand: ihre Alben im neuen Jahrtausend waren einfach nie wieder so gut wie „Moseley Shoals“ von 1996, mit dem sie einen dicken Fußabdruck im Britpop-Sandkasten hinterließen. Ein Album für die Ewigkeit, das mit "The Day We Caught the Train" eine weitere erstklassige Britpop-Hymne und mit "The Circle" oder "Get Away" noch mehr Perlen zu bieten hatte.
Klar, es gab auch danach immer mal wieder wieder tolle Momente, etwa das fast genau so gute Album „Marchin' On“ von 1997 oder das damals stark kritisierte, aber im Grunde sehr schöne poplastige Werk „One for the Modern“ von 1999 – auf dem die Band auf eine angenehme Art erwachsener klingt. Auch den Song „Up on the Downside“ vom ansonsten eher faden Album „Mechanical Wonder“ von 2001 muss man lobend erwähnen.
Aber nichts von alldem kommt an „Moseley Shoals“ heran. Auf diesem Album klappte das mit den „Melodien für Millionen“ erstaunlich gut. Zudem sind alle Songs richtig gut gealtert sind, was nicht bei allen Wettbewerbern von damals der Fall ist. Die lässige Eleganz von „The Riverboat Song“ stach 1996 schon heraus, und sie tut es heute immer noch. Ein mitreißender Song, gespielt von einer Band auf der Höhe ihres Schaffens. Kennen Sie nicht? Dann hören Sie, genießen Sie, tanzen Sie.