Jedes Mal, wenn ich in München durch die Rumfordstraße gehe, beginnt es in meinem Kopf zu arbeiten. Es ist mein inneres Kind, das dort werkelt, ein pickeliges Kind mit breitem Zahnlücken-Grinsen und runden Backen, das aus der Rumfordstraße eine "Rufmordstraße" macht. Ich kann nichts dagegen tun, es passiert einfach, und tatsächlich finde ich es auch noch äußerst witzig.
Natürlich weiß ich theoretisch, dass die Straße zu Ehren des Grafen von Rumford benannt wurde, dem Mann, der München mit dem Englischen Garten eine Touristenattraktion ersten Ranges schenkte und ein Paradies für alle, deren Hauptinteresse das Untersuchen von Gänsekot ist. Mag ja alles stimmen. Aber weitaus witziger als die Wahrheit ist halt doch die Vorstellung einer "Rufmordstraße", in der beispielsweise Jörg Kachelmann, Andreas Türck und Mola Adebisi Tür an Tür wohnen und sich abends bei einer Flasche Rotwein darüber austauschen, wer die härteste Schmutzkampagne über sich ergehen lassen musste.
Unten auf der Straße treffen sich unterdessen zwei Bekannte:
"Ach, du wohnst auch in der Rufmordstraße? Was haben sie dir denn angehängt?"
"Drogenmissbrauch."
"Echt? Bei mir war's Alkohol am Steuer. Dabei waren das nur fünf Bier, und eins davon war auch noch ein Radler…"
Einmal im Jahr muss es ein großes Rufmordstraßenfest geben, mit Speis, Trank und Bauchtanz, bei dem alle Anwohner die Gelegenheit bekommen, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Das wäre ein Spaß.
Für schäbige Wortspiele konnte ich mich schon immer begeistern. Als mein Biolehrer einst das Wort "Schimmelpilz" versehentlich als "Pimmelschilz" aussprach, lachte ich wochenlang ausgiebig darüber. Ich hatte wohl eine sehr schöne Kindheit. Und noch immer lasse ich keine Gelegenheit aus, beim Wort "Putzfimmel" die Anfangsbuchstaben zu vertauschen. Das sind die Augenblicke, die meinen Alltag versüßen. Einmal hätte meine Vorliebe für fragwürdige Wortspiele sogar fast zu einem Autounfall geführt. Ich entdeckte im Straßenatlas zufällig eine niedersächsische Ortschaft namens Büchsenschinken – ja, die gibt es tatsächlich - und brachte meinen Fahrer durch hartnäckiges Lachen derart aus dem Konzept, dass wir um ein Haar die Leitplanke geküsst hätten.
Im Polizeibericht hätte gestanden: "Todesursache: Wortspiel."
In klaren Momenten sehe ich das Besorgniserregende an meiner Sucht nach dem simplen Lacher. Dann begreife ich, dass das nicht normal ist und dass ich es therapieren lassen sollte. Ich habe auch schon sehr genaue Vorstellungen davon, wie eine solche Therapie ablaufen könnte. Ich stelle mir einen kahlen Raum vor, in dem es nichts gibt außer einem harten Holzstuhl und einer Leinwand.
Ich stelle mir vor, wie ich gezwungen werde, stundenlang Auftritte von Mario Barth anzusehen. Einen nach dem anderen, und zwar nur die Extended Versions. Irgendwann kommt ein Therapeut rein, packt mich an den Schultern, schüttelt mich und brüllt mich an: "Willst du so enden? Als Klassenclown der Nation, als Spaßmacher für den kleinsten gemeinsamen Nenner? Willst du mit platten und sexistischen Kalauern niederste Instinkte bedienen, willst du das? Dann mach' nur so weiter!"
Ich will dann aber nicht so weitermachen, fange an zu weinen und bitte ihn, mich von meiner Sucht zu heilen. "Nur noch einen letzten Schuss", stammele ich, "ein letztes Wortspiel noch, bitte, nur noch dieses Eine, dann höre ich auf." Der Therapeut murmelt leise "Viel Glück" und drückt mir seine Visitenkarte in die Hand.
Darauf lese ich: "Dr. Müller-Lüdenscheid, Rufmordstraße, Büchsenschinken"
Dann wache ich schweißgebadet auf und begreife, dass man die Vorliebe für seichte Wortspiele nicht einfach abstreifen kann wie einen hässlichen Pullover. Es mag Leute geben, die das Gegenteil behaupten. Aber für mich grenzt so etwas beinahe an Rufmord.