Es tut weh, die Internetkommentare von potenziellen AfD-Wählern und Pegida-Demonstranten lesen zu müssen. Schmerzhaft ist dabei nicht nur das offensichtliche Fehlen von Mitgefühl und Verständnis für größere Zusammenhänge. Auch ist es nicht nur die fast schon bemitleidenswerte Angst, die aus den hetzerischen Parolen derer spricht, die sich aus irgendeinem unersichtlichen Grund benachteiligt und von Ausländern überrollt fühlen, obwohl das mit Fakten nicht einmal im Ansatz zu belegen ist. Und nein, auch ist es nicht nur das Vokabular, das sie benutzen und das teilweise erschreckend an das "Dritte Reich" erinnert – nur mit Flüchtlingen/Muslimen anstatt Juden als Zielscheibe. Das ist alles schlimm, unerträglich, es bereitet mir körperliche Schmerzen. Aber wie gesagt ist es nicht das einzige furchtbare an der momentanen Situation.

Denn dann gibt es da auch noch eine riesige Bevölkerungsschicht, denen einfach alles scheißegal ist. Das sind Leute, die in herrlicher, selbstvergessener Weise vor sich hin leben, als wäre es 2012, als hätte es keine Flüchtlingswelle nach Europa gegeben, kein Elend an hastig errichteten Grenzzäunen im eigentlich geeinten Europa, keine Polarisierung in unserer Gesellschaft, keine braune Hassbewegung, die sich ungestraft auf unseren Straßen ausbreitet. Sie gehen tagsüber arbeiten, abends zum Essen oder ins Fitnessstudio und fliegen im Urlaub nach Mallorca. Sonst machen sie nichts. Es sind Leute, die sich nicht dafür interessieren, dass ihr Land möglicherweise an einer historischen Zeitenwende steht. Oder, die – noch schlimmer – schweigen, obwohl sie die Gefahr genau begreifen.

Klar ist: Die überwältigende Mehrheit der Deutschen brüllt keine Hassparolen. Der weitaus größte Anteil der Menschen in unserem Land hat keine Angst vor einer Überfremdung, die es ohnehin nicht gibt, sondern ist weltoffen und tolerant. Aber warum sagen sie dann nichts? Warum überlassen sie das Internet denen, die Hass-, Vergasungs- und Erschießungsparolen verbreiten? Wie kann einem so etwas derart egal sein? Das ist das eigentlich Besorgniserregende.

Diese Bequemlichkeit ist keineswegs neu. Es ist ein Phänomen, das schon seit vielen Jahren bei jeder einzelnen Landtags- und Bundestagswahl zu beobachten ist. Man geht nicht wählen, weil es einen nicht interessiert, was dort entschieden wird. Das ist die schlimmste aller möglichen Einstellungen. Denn eines ist klar: Die, die Hassparolen verbreiten und hilflose Menschen zurück in den Krieg abschieben wollen, diejenigen, die wieder Prügelstrafen an Schulen einführen wollen und Frauenrechte beschränken wollen, diejenigen, die alles rückgängig machen wollen, wovon die "Scheißegal"-Fraktion heute profitiert – die gehen zum Wählen. Denn die haben Angst.

Aber, sollte man meinen, kein Grund zur Sorge. Es gibt doch gesellschaftliche Vorbilder mit der richtigen Einstellung. Schauspieler, Wirtschaftsbosse, Spitzensportler, Künstler, die für die guten Werte unserer Gesellschaft stehen. Die könnten ihre Bekanntheit doch dazu nutzen, die Leute aufzurütteln. Doch: denkste. Die klaren Aussagen derer, denen viele zuhören, waren so selten, dass sie völlig untergingen. Da muss schon der Trainer eines Fußball-Zweitligisten daherkommen und in die Bresche springen. Man kann Christian Streich vom SC Freiburg gar nicht genug dafür loben, dass er seine vermutlich größtenteils apolitischen Spieler gewissermaßen zum Wählen in Baden-Württemberg verdonnert hat. Und man freut sich, dass wenigstens Armin Rohde klar Stellung bezieht und seine Kollegen für deren Schweigen öffentlich abwatscht. Das tut gut. Aber ob es reicht? Das gesellschaftliche Übel liegt vermutlich gar nicht in der zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft, im zunehmenden Hass gegen Minderheiten. Das Übel ist die Wurschtigkeit der schweigenden Mehrheit.