Wenn mich jemand fragen würde – also angenommen, jemand wäre verrückt genug, dies zu tun – früge mich also irgend eine Person, welcher Satz die Welt im Web-2.0-Zeitalter und ganz besonders die westliche Gesellschaft am prägnantesten beschreibt, so wäre meine Antwort: "Jetzt sichern!" Doch, so ist es. Der Verlust von Sicherheit ist ein bemerkenswertes Sinnbild unserer Zeit. Kaum überraschend, dass die Werbeindustrie uns immer öfter auffordert, irgendetwas zu sichern, und zwar am besten jetzt gleich und sofort. Meistens sind es Vorteile, die man sich sichern soll, aber manchmal auch ein Gutschein oder ein Rabatt (was ja beides im Grunde auch Vorteile sind). Werden Sie jetzt aktiv, schreien diese aggressiv mit einem Schlagwort aufgepimpten Werbebotschaften hinaus, sonst sichert sich jemand anders diesen Vorteil, und Sie, Sie schauen in die Röhre – weil Sie zu langsam waren! Und langsam sein, das geht eben heutzutage nicht mehr. Weil Marketingabteilungen ja meist ihre Lauscher am Puls der Zeit haben, lässt sich aus grellen Botschaften wie "Jetzt zuschlagen und unglaubliche Bonus-Sonder-Supervorteile mit Extrarabatt sichern!!!!" vor allem eine Hypothese ableiten.

Sicherheit, und zwar sofort!

Unsere hyperbeschleunigte, von Informationen überschwemmte und auf ständige Veränderung getrimmte Gesellschaft giert insgeheim besonders nach einem – und das ist die Sicherheit. Denn die gibt es nicht mehr. Jeder kann sich seine Meinung zu irgend etwas im Internet zusammengoogeln. Ein Mann wird in wenigen Monaten zu einer Frau, wenn er das will. Und in dem Bier, das mir gut schmeckt, wird höchstwahrscheinlich irgendjemand demnächst ungesunde Bakterien nachweisen. Überhaupt, Alkohol und Ernährung: Die Gerichte, die man früher aß, die Getränke, die man früher trank, sollte man am besten sofort vergessen, denn die sind jetzt ungesund. Auf nichts kann man sich mehr verlassen. Wenn wir uns also etwas sichern können – und sei es nur ein dämlicher Gutschein – schlagen wir zu, denn dann kann es uns niemand mehr wegschnappen.

Henne, Ei und so weiter

Natürlich könnte man nun die altbewährte Henne-Ei-Problematik anführen. Was war zuerst da: Die verunsicherten Menschen, die nach Beständigkeit und Sicherheit in einer kompliziert gewordenen Welt suchen, oder die Werbeindustrie, die ihnen genau diese Sicherheit verspricht? Mein persönlicher Tipp ist: Letzteres. Denn Werbebotschaften ähnlich denen, die heutzutage in großen Lettern über den TV-Bildschirm flimmern oder in Pop-Ups auf diversen Internetseiten erscheinen, gab es schon früher. Mit früher meine ich Schwarzweiß-Fernsehen-Zeiten, in denen Autos noch keinen Katalysator hatten, Männer noch echte Kerle waren und das Feindbild dank des Eisernen Vorhangs klar definiert war. Informationen wurden noch mit gehöriger Verspätung über Zeitungen oder maximal über die "Tagesschau" transportiert, und generell wusste der Bürger, worauf er sich verlassen kann. Das ist natürlich alles überspitzt, aber worauf ich hinauswill, ist, dass es schon vor fünfzig Jahren Werbebotschaften gab, in denen die Kundschaft aufgefordert wurde, zuzuschlagen und sich unschlagbare Sonderangebote zu sichern. Nur war das alles weitaus zurückhaltender aufbereitet, in gemächlicherem Tempo vorgetragen, und niemand wurde mit dem Gefühl belastet, im Wettbewerb zurückzufallen, wenn er beziehungsweise sie jetzt nicht gleicht diesen Wischmopp kauft. Heute beschleicht einen das Gefühl, dass die Werbeindustrie aus der Unsicherheit ihrer Kunden Kapital schlagen will. Frei nach dem Motto: Hör mal, ich weiß, dass du dich fragst, wem du noch vertrauen sollst oder was du machen sollst, ohne dass es dir schadet. Es ist doch ganz einfach: Jetzt diese Kreditkarte sichern, und es geht dir besser.

Manchmal hat man den Eindruck, dass beiden Seiten etwas Entschleunigung nicht schaden würde. Natürlich ist Werbesprache etwas anderes als Alltagssprache, trotzdem wirken Botschaften wie "Jetzt unschlagbare Vorteile sichern" einfach nur übertrieben und hektisch. Die deutsche Sprache bietet mehr Möglichkeiten als lediglich die schnörkellose Aneinanderreihung von Schlagwörtern.

Weitere Folgen der Kolumne "Alles außer Sprachkritik"

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