Ein Song, so schwermütig wie Paris in einer grauen Novembernacht - aber genau so wunderschön. Die Ballade "Éblouie par la nuit" beendet Zaz' perfektes Debütalbum auf perfekte Art und Weise. Wie sagt man eigentlich "Gänsehaut" auf französisch?

Zaz' Debütalbum ist von einer unglaublichen Qualität. Es schwappt über vor unwiderstehlicher Energie, starken Melodien, ungekünstelter Lebensfreude und Charme. Kein Wunder, dass die französische Sängerin Anfang der Zehnerjahre nicht nur in ihrer Heimat gefeiert wurde, sondern auch diesseits des Rheins Begeisterungsstürme auslöste.

Zaz zeigte mit locker-flockigen Hits wie "Je veux", "Le long de la route" oder "Prends garde á ta langue", wie einfach es sein kann, Musik zu erschaffen, die aus dem übrigen Brei heraussticht. Man muss einfach darauf verzichten, sich zu verbiegen. Anstatt ein gut vermarktbares Image zu konstruieren, steckte Zaz, alias Isabelle Geffroy, ihre überbordende Energie lieber in die Musik, legte Emotionen und koketten Charme in ihre Songs und gab ihnen so genau das, was 98 Prozent der so genannten "Hits" in den Charts fehlt: eine eigene Identität.

Schwermütig, melancholisch, echt

Für mich sticht auf Zaz' gleichnamigem Debütalbum aber ein Lied heraus. Es ist anders als der Rest, es berührt mich auf eine andere Weise und zeigt, dass in ihr mehr steckt als eine charismatische Gypsy-Swing-Sängerin. Die Rede ist von "Éblouie par la nuit", das ganz am Ende des Albums noch mal einen schwermütigen Ton anschlägt. Geschrieben wurde der Song von Raphael Haroche, der in Frankreich selbst ein großer Popstar ist. In Deutschland ist Raphael vor allem für seinen Song "Caravane" vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2005 bekannt, doch in Frankreich zählt er zu den ganz großen Nummern im Pop-Zirkus. Und er ist auch abseits seiner Solokarriere ein gefragter Songwriter. Für Zaz' Album schrieb er nämlich gleich drei Nummern: "La fée", "Port coton" und eben besagtes "Éblouie par la nuit".

Und, das darf man durchaus mal so lapidar feststellen: Was ist das nur für ein phänomenaler Song! Selten hat mich ein Lied so kalt erwischt, hat mir so unmittelbar einen Kloß in den Hals gezaubert, mich derart fasziniert. Zaz legt in den kurzen 2:41 Minuten wirklich alles in den Gesang hinein, was sie hat. Und das ist viel. Ihre Stimme vibriert, kämpft, kratzt, lebt, transportiert unglaubliche Emotionen und ganz viel Gefühl. Am obersten Ende ihres Stimmspektrums, in unglaublichen Höhen, besingt sie dunkle Pariser Nächte und beschreibt schicksalshafte Begegnungen. "J'ai attendu cent ans / dans les rues en noir et blanc / tu es venu en sifflant", heißt es da ("Ich habe hundert Jahre gewartet / in schwarz-weißen Straßen / dann bist du pfeifend gekommen"), und Zaz gibt diesen Worten so viel Melancholie mit, dass es so gut wie unmöglich ist, nichts zu fühlen. Egal, ob man französisch kann oder nicht, egal ob man nachvollziehen kann, worum es in "Éblouie par la nuit" geht: Das Lied ist ein Musik gewordenes Manifest für das von jeglichem Kitsch befreite besingen echter Gefühle. Diese Eigenheit, gepaart mit der dramatischen Ohrwurm-Melodie, macht "Éblouie par la nuit" zu einem der anrührendsten Songs, die ich je gehört habe. Und das darf durchaus etwas heißen. Ein echtes Lieblingslied also.

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