Dieses Lied ist der beste Beweis dafür, dass gute Rockmusik nicht spektakulär sein muss. Und dass die besten Songs einer Band oftmals die Unbekannten sind.

In der englischen Sprache gibt es den schönen Begriff „cult favourite“ für Alben, die zwei Dinge auszeichnet: Erstens eine hohe Qualität, zweitens die Tatsache, dass nur eine eingeweihte Hörerschar sie überhaupt kennt. Meistens sind „cult favourites“ also Alben aus der Frühphase einer Band oder eines Künstlers, die später den ganz großen Durchbruch hatten.

Womit wir bei „De Stijl“ von den White Stripes wären. Denn schon bevor sie mit „Elephant“ (2003), „Get Behind Me Satan“ (2005) und „Icky Thump“ (2007) den seltenen Spagat hinbekamen, Millionenseller-Alben zu veröffentlichen, die auch bei den Kritikern bestens ankamen, hatten Jack und Meg White im Jahr 2000 ihr zweites Album veröffentlicht, das noch weitgehend unter dem Radar flog. Ein „cult favourite“ eben, denn beide Voraussetzungen sind erfüllt: „De Stijl“ ist nicht nur ein bis heute der breiten Masse eher unbekanntes, sondern auch ein großes Album, ein grandioses, vermutlich das beste der White Stripes. Und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da.

Klar sind eigentlich alle Alben des Detroiter Duos gut bis überragend, neben den eben erwähnten natürlich auch „White Blood Cells“ (2001), auf dem sich mit dem Garagenrock-Kracher „Fell in Love With a Girl“ schon der Durchbruch zart ankündigte. Aber keines dieser Alben kann mit der Wucht, der Vielfalt und der Virtuosität von „De Stij“ mithalten.

Der Höhepunkt auf einem unterschätzten, grandiosen Album

Mag das Album auch nach einer niederländischen Kunstrichtung benannt sein -  hier wirkt überhaupt nichts gekünstelt, verkopft oder leblos. Ganz im Gegenteil klingt alles auch nach 20 Jahren noch erstaunlich frisch – sei es der lässig heruntergeschrammelte Lo-Fi-Rock von „You’re Pretty Good Looking (For a Girl)“, die wunderschöne Pop-Perle „Apple Blossom“, das räudige, dreckige Bluesrock-Brett „Death Letter“ oder die zarte Akustik-Anfrage „Sister, Do You Know My Name?“. Für mich steht über allem aber „I’m Bound to Pack it Up“, eine absolut großartige Country-Ballade.

Wobei „Country“ hier nicht im engen Sinne zu verstehen ist, von wegen Cowboystiefel, Hillbilly-Getue oder wehmütige Erinnerungen an die gute alte Suzy, die mit dem falschen Kerl in den Sonnenuntergang geritten ist. Was an „I'm Bound to Pack it Up“ aber sehr wohl Country ist, ist das Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Hollywood verkauft es uns schon seit Jahrzehnten erfolgreich als amerikanische Erfindung, und vielleicht ist da ja sogar was dran. Über diesem Song hängt eine gewisse Sehnsucht, die eine wohlige Wärme erzeugt. Oder kommt die vielleicht doch von der satten Akustik-Gitarre oder Jack Whites fast schon unschuldig intoniertem Gesang?

„Im sorry to leave you all alone,
You're sitting silent by the phone,
But we'd always known there would come a day.
The bus is warm and softly lit,
And a hundred people ride in it,
I guess I'm just another running away.“

Nein, spektakulär ist an diesem Song nichts. Aber wir reden ja hier auch von den White Stripes. Einer Band, die zu ihren Lebzeiten ihre große Stärke aus brutaler Simplizität bezog. Zu erleben in Meg Whites legendär eindimensionalem Schlagzeugspiel (das in „I'm Bound to Pack it Up“ übrigens nicht benötigt wird). Rockmusik muss nicht spektakulär sein, um gut zu sein. Sie muss packen, berühren, begeistern. Das tut „I'm Bound to Pack it Up“ auf jeden Fall. Ich hatte schon vor mindestens 15 Jahren eine innige Liebe zu diesem Song entwickelt, ihn dann zwischenzeitlich völlig vergessen – da ich zwischenzeitlich auch den White Stripes ziemlich entsagt hatte – und ihn kürzlich wiederentdeckt. Fazit: Hat sich richtig gut gehalten. Ein „cult favourite“ halt.