Nein, unser guter alter DFB gibt dieser Tage wahrlich kein gutes Bild ab. Plötzlich stehen Lichtgestalten im Zwielicht, wackeln Kaiserthrone und versucht ein falscher Zwanziger verzweifelt, sich medial reinzuwaschen. Der Präsident des weltgrößten Sportverbands stammelt sich durch eine in jeder Hinsicht denkwürdige Pressekonferenz und unterstreicht seine Aussagen, dass er von gar nichts irgendetwas wusste, dadurch, dass er die Verantwortung für alles übernimmt und zurücktritt.
Insgesamt eine sehr unschöne Angelegenheit, die ja auch unser aller in höchstem Andenken gehaltenes Sommermärchen in den Schmutz zieht. Kein Wunder, dass viele Twitter-User ihrem Ärger auf maximal 140 Zeichen Länge Luft machen. Das Schlagwort, Pardon: Hashtag der Stunde heißt: #dfbgate. Und nein, das hat nichts damit zu tun, dass der Hausmeister der DFB-Zentrale in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise den Schlüssel für das Eingangstor nicht mehr findet. Wir sind hier Zeuge eines Vorgangs, der in sprachlicher Hinsicht genauso beklagenswert ist wie die ganze Schmiergeld-Affäre aus moralischer Sicht.
Denn DFB-Gate, das ist zunächst einmal ein kurzer und kompakter Begriff, den jeder irgendwie begreifen kann. Selbst der - vorsichtig ausgedrückt - in Zeitgeschichte eher wenig bewanderte RTL2-Zuschauer. Hä, da steht ja –gate hinten dran? Dann geht es um einen Skandal! So wie damals in, na wie hieß es noch, Amerika halt. In Watergate! Ha! Siehste, ich kenn mich doch aus! Von wegen, ich lern nix beim Fernsehen!
Und wieder einmal hat das plumpe Kofferwort seinen Zweck erfüllt, hat die sprachliche Faulheit gesiegt. Kurz und knackig muss es heutzutage sein. Wir leben schließlich im Twitter-Zeitalter. Hier wird nicht mehr das sprachliche Florett geschwungen. Im Web-2.0-Zeitalter regiert das Hackebeil. Wo man früher noch ausgiebig vom Sprachbüffet kostete und mit Genuss giftige Wörtercocktails servierte, müssen es heute kleine, rasche Häppchen mit reichlich Konservierungsstoffen sein. Unser aller Zeit ist schließlich begrenzter denn je. Warum also "DFB-Korruptionsaffäre" schreiben, was den Vorgang recht prägnant zusammenfassen würde, wenn man auch "DFB-Gate" hinrotzen kann? Versteht ja auch so jeder. Und klingt gleichzeitig belesen und weltgewandt.
Mag ja alles sein. Und trotzdem hört sich "DFB-Gate" so gewollt modern und jugendlich an wie die 95-jährige Oma, wenn sie erzählt, dass sie gestern "auffem Smartphone krass gedisst" wurde. DFB-Gate, das ist weder ein deutsches Wort, noch ein englisches. Mal ganz von seinem schaurigen Klang abgesehen ist der Begriff als Bezeichnung für den derzeitigen Skandal beim DFB auch noch falsch gewählt. Denn die Watergate-Affäre, das weiß heutzutage offenbar nicht mehr jeder, hatte eine ganz andere Tragweite und Qualität als das, was derzeit im deutschen Fußball aufgedeckt wird. Nicht, dass ich die dubiosen Millionenzahlungen im Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006 in irgendeiner Weise schönreden will. Aber es ist halt doch etwas anderes, ob der Präsident einer Weltmacht über Jahre hinweg systematisch Regierungsbehörden für Zwecke missbraucht, die in der Verfassung nicht vorgesehen sind, ob er seine Gegner abhören lässt und die Justiz anschließend bei der Aufklärungsarbeit behindert – oder ob die Vergabe eines Sportturniers möglicherweise durch Bestechung zu Stande kam. Zumal DFB-Gate ja nicht der einzige grenzwertige Sprach-Mutant ist, der in den letzten Jahren aus der Unterwelt zu uns heraufstieg.
Wer erinnert sich nicht an die "Nipplegate"-Affäre von 2004? Damals noch ohne Hashtag, Twitter gab es ja noch nicht. Janet Jackson passierte vor einem TV-Milliardenpublikum ein kleines Malheur mit ihrer Garderobe, ausgerechnet in der Halbzeitshow des "Super Bowl"-Spiels. Und in den prüden USA blieb kein Stein auf dem anderen. Unzählige Amerikaner wurden zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Tatsache konfrontiert, dass Frauen Brüste haben. Viele sind bis heute traumatisiert. Der ungeheuerliche Vorgang brauchte ein Schlagwort – "Nipplegate" war geboren. Herrgott, es ging um weibliche Geschlechtsmerkmale, und anstatt einer sinnvollen Debatte über Moralvorstellungen oder eine mögliche Übersexualisierung unserer Gesellschaft bleibt im Nachgang nur dieses kreuzdämliche Wort hängen, welches im Übrigen noch viel weniger mit dem ursprünglichen Skandal zu tun hatte als die DFB-Affäre. Mit etwas Verspätung erreichte der Trend zur lieblosen ver-gate-erung auch Deutschland. Vor ein paar Jahren kam es dank angeblich anzüglicher Sprüche des damaligen FDP-Chefs Rainer Brüderle zur Dirndl-Gate-Affäre. Und der NSA-Skandal gebar auf seinem Höhepunkt die ebenso griffige wie dämliche Wortneuschöpfung Handy-Gate. Klingt gleich weniger hart als "Unbefugtes Abhören persönlicher Telefongespräche der deutschen Bundeskanzlerin", gell?
Merke: Bei Skandal nicht 110 wählen, sondern #hashtag setzen und -gate hinten dran bauen.
Manchmal fragt man sich, was hier eigentlich abgate.