Als die Kreise sprechen lernten
Haben Sie einen Kreis zu Hause, der sprechen kann? Genauer gesagt, mehrere Kreise, die für Sie mit der Presse kommunizieren können? Nein? Ich auch nicht. Aber Kreise sind offenbar teuer, und so können sich nur Lobbygruppen, politische Parteien oder Fußballvereine die Anschaffung leisten. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man die Nachrichten verfolgt. Egal, ob in der Tagesschau, im Onlineportal oder in der frisch aus der Presse gespuckten Zeitung: Wenn es um pikante Themen oder wichtige Entscheidungen geht, sprechen nicht Menschen, sondern die Kreise.
„… heißt es aus Regierungskreisen“, „… war aus Kreisen der Geschäftsführung zu vernehmen“, „… äußerten sich Verbandskreise folgendermaßen“ oder andere Formulierungen zwingen meine Stirnfalten in Runzelstellung und werfen nebenbei gleich mehrere Fragen auf. Zum Beispiel: Handelt es sich hier um Stuhlkreise? Kornkreise? Kreidekreise? Wie kann, wie muss man sich einen Kreis vorstellen, der mit einem Journalisten spricht und von diesem zitiert wird? Und überhaupt, die Frage aller Fragen: Seit wann können Kreise sprechen? In meiner grenzenlosen Einfältigkeit hatte ich Kreise bisher meist als geometrische Form wahrgenommen, als runde Sache sozusagen. Mir war nicht bewusst, dass sich Kreise mittlerweile als zitierfähige Nachrichtenquellen etabliert haben. Aber offenbar haben sie in ihrer Kreisförmigkeit nun eine derart gewichtige Stellung erlangt, dass kaum noch eine Redaktion ohne sie auskommt. Und das ist ärgerlich.
Denn zumindest in meinen Ohren klingt eine Meldung, in der die Aussage von irgendwelchen obskuren „Kreisen“ zitiert wird, so, als hätte die Redaktion a) keine Lust oder nicht die Möglichkeit gehabt, den wahren Urheber des Zitates zu ermitteln oder würde es b) den Lesern oder Zuschauern ohnehin nicht zutrauen, mit dessen Namen etwas anfangen zu können. Wer hat behauptet, wir würden Waffenlieferungen in den Irak planen? Ach so, Regierungskreise. Na, dann. Schon wirkt die eigentlich wichtige Nachricht etwas belangloser. Sprache kann so grausam sein.
Kein Name, kein Gesicht - einfach nur Kreise
Denn genau das ist das Schlimme: Wenn Kreise ins Spiel kommen, wird eine Nachrichtenmeldung schwammig. Sie verliert ihre konkrete Aussage, egal, wie gewichtig das behandelte Thema auch sein mag. Werden Kreise zitiert, klingt immer der Anflug eines Gerüchtes mit, oder der Hauch von „ich hätte gerne, dass …“. Denn klar ist: Wenn Regierungen, Verbände, Vereine etwas Sicheres vermelden wollen oder können, dann müssen keine Kreise sprechen, sondern dann werden zur Verkündung echte Menschen mit Namen und Gesichtern vorgeschickt. Kreise haben aber weder Namen noch Gesichter, sie sind einfach nur Kreise.
Natürlich ist auch mir der Grund klar, warum Kreise in unseren Nachrichten die Runde machen: Wann immer ein hochrangiger Lobbyist, Politiker oder Gewerkschafter Angst hat, seinen Ruf durch das Ausplaudern pikanter Details zu schädigen, sind Journalisten angehalten, „Kreise“ zu zitieren. Das macht die Sache aber nicht besser. Kaum etwas symbolisiert den aufgeheizten Sensationsjournalismus unserer Zeit so sehr wie das Verlangen, undefinierbare Kreise als Quellen für mögliche Top-Meldungen heranzuziehen. Eine Möglichkeit wäre, etwas zu riskieren und einfach mal Namen auszuplaudern. Eine andere Möglichkeit wäre, wenigstens von „namentlich nicht genannten Quellen“ zu sprechen, was auch vage klingt, aber immer noch besser als irgendwelche Kreise. Sprache wird ja heute allgemein als vernachlässigbare Größe angesehen. Wenn aber selbst die Nachrichtenmedien – selbst im Zeitalter der Selbstrecherche im Internet immer noch die wichtigsten Informationsquellen, die es gibt – anfangen, den Konsumenten mit einer solchen „Wurschtigkeit“ zu behandeln und ihm irgendwelche Kreise vorzusetzen, dann ist das eine bedenkliche Entwicklung. Hieß es aus Blogautorenkreisen.