So, hört Ihr mir zu? Ich möchte noch ein paar Dinge loswerden.

Ihr wart echt richtige Scheißmenschen. Alle, ohne Ausnahme. Was bin ich froh, dass ich euch jetzt nicht mehr ertragen muss. Soll sich doch mein Nachfolger mit euch Kackmenschen herumschlagen.

Wie bitte, was sagen Sie da? Ich bin fies? Ich verallgemeinere und schere alle Menschen über einen Kamm? Natürlich tue ich das! Mit größtem Vergnügen sogar! Aber wer hat denn angefangen mit dem Verallgemeinern und dem Reißen von saublöden und diffamierenden Sprüchen? Wer war das? Ein Hinweis: Ich war es nicht.

Was musste ich da in den letzten Wochen, ach was sage ich, Monaten!, was musste ich da nicht alles über mich lesen! Jeder einzelne Erdenbürger schien sich berufen zu fühlen, dem Jahr 2016, also mir, einen qualvollen Tod zu wünschen. Ich solle mich endlich verpissen, hieß es da. Ein Arschloch sei ich, ein Scheißjahr, das grauenhafteste Jahr seit mindestens 1933. Wusste gar nicht, dass es derart viele Historiker auf der Welt gibt.

Na, schönen Dank jedenfalls. Es gibt schließlich wenig erquicklicheres, als tonnenweise unqualifizierte Kommentare in die Einfahrt geschissen zu bekommen. Ehrlich, ich liebe das. Das war jetzt übrigens Ironie. Ich sage das bewusst dazu. Denn die vergangenen zwölf Monate haben mich gelehrt, dass jede noch so selbstverständliche Selbstverständlichkeit in Frage gestellt werden kann.

Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach, liebe Scheißmenschen. Da ich ja nun außer Dienst bin und das Zepter an das bedauernswerte 2017 abgegeben habe, nehme ich mir gerne die Zeit, euch das Ganze zu erklären.
Also, ich war in vielerlei Hinsicht ein Jahr wie jedes andere. Ich bestand aus einer bestimmten Menge an Tagen. Ich hatte ein Frühjahr, einen Sommer, einen Herbst und, ja, auch einen Winter. Auch wenn mir das in Deutschland jetzt wieder niemand glauben wird. Mir wurde darüber hinaus die Ehre zu Teil, eine Fußball-EM, olympische Spiele und eine US-Wahl mein Eigen nennen zu dürfen. Außerdem war ich ein Schaltjahr, nur mal nebenbei erwähnt. Das kann nicht jedes Jahr von sich behaupten und macht mich schon ein bisschen stolz. Fragen Sie mal bei 2015 nach. Das musste sich schon an James-Bond- und Star-Wars-Premieren klammern, um wenigstens ein bisschen angeben zu können.

Aber es geht mir nicht ums Prahlen. Ich wollte ja das offensichtliche erklären. Als Kalenderjahr verdanke ich mein Dasein weder meinen Eltern, noch irgendeinem Gott, sondern einzig und alleine den Menschen. In erster Linie natürlich dem, der einst den gregorianischen Kalender erfand. Aber auch allen anderen, die zu faul waren, eine Alternative zu entwickeln.

2016 hat niemanden getötet - wie auch?

So weit also zu mir. Kommen wir nun zu allem, was ich nicht bin. Zum Beispiel der Mörder von David Bowie, Prince, Bud Spencer, Fidel Castro oder George Michael. Oder der Verantwortliche für den Brexit, den Wahlsieg Donald Trumps und die ständige Medienpräsenz der AfD. Auch kann ich behaupten, dass ich keinen einzigen Terroranschlag auf der Welt durchgeführt habe. Istanbul, Nizza, Brüssel, Berlin, nirgendwo hatte ich als Jahr 2016 meine Finger im Spiel. Wie sollte das auch gehen? Der Amoklauf in München war ebenfalls nicht mein Werk, sondern das eines verwirrten Einzeltäters mit einer bizarren Faszination für Herrn Breivik, dessen furchtbare Taten übrigens meinem Kollegen 2011 in keinster Weise angelastet wurden. Zumindest habe ich noch niemanden sagen hören, 2011 sei ein Scheißjahr gewesen. Obwohl damals auch noch der NSU aufflog und Amy Winehouse starb.

Um mich klar auszudrücken: Zu behaupten, alles Schlimme, was zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember geschehen ist, sei irgendwie die Schuld des Jahres 2016, ist schon mehr als dreist. Ich bitte Sie! Ich bin doch kein Gott, sondern nur ein Jahr, ein Kalenderkonstrukt, eine Ordnungseinheit.

Wenn nun trotzdem die Besserwisser bei Facebook und Twitter durchdrehen und in der Manier bester Verschwörungstheoretiker alles Negative mir in die Schuhe schieben, dann ist das durchaus bedenklich.

Klar verstehe ich das Bedürfnis vieler Menschen, ihren Unmut und Kummer über die internationalen Krisen und Kriege, den Hass, die Unmenschlichkeit und den Tod geliebter Menschen auf irgendwen zu projizieren. Das ist menschlich, das begreife sogar ich als Jahr.
Blöd aber, wenn als Sündenbock ein abstraktes Ding herhalten muss, das man unmöglich für irgend etwas zur Rechenschaft ziehen kann.

Damit macht man es sich nämlich sehr einfach. Wenn 2016 daran schuld ist, dass überall Populisten das Ruder an sich reißen, warum dann noch über die tieferen Ursachen dafür nachdenken? Dass in Syrien immer noch Bomben fallen? Typisch 2016. Brennende Flüchtlingsheime? Kann es ja nur im Scheißjahr 2016 geben.
Bei so einer Denke schwillt mir wirklich der Kamm! Man kann sich gerne darüber aufregen, dass die Welt aus den Fugen gerät. Wäre ich kein Kalenderjahr, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, ich würde vermutlich auch motzen. Aber dann sollte man die Schuld an dem ganzen Schlamassel doch bitteschön nicht einem Jahr in die Schuhe schieben, sondern den Politikern. Oder hat irgendwer schon einmal Donald Trump, Frauke Petry oder Nigel Farage über das ach so schlimme Jahr 2016 jammern gehört? Denen scheint meine Amtszeit ja ziemlich gut gefallen zu haben. Ich frage mich nur, warum das so ist.

Aber warum sich noch weiter darüber echauffieren? Ich habe es ja jetzt hinter mir. Und die Leute, die sich ausdauernd auf mir herumgehackt haben, werden noch früh genug merken, dass 2017 kaum besser werden wird. Denn Terror, Krieg, Hunger und der Tod von Prominenten hat mit ziemlich vielen Dingen zu tun – nur absolut gar nichts mit dem Kalenderjahr. In diesem Sinne: Ich mache es mir jetzt in den weltweiten Archiven und auf Millionen von Dachböden gemütlich.

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