Seit heute Abend ist klar, dass zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine offen rechtspopulistische, rassistische und homophobe Partei in den Bundestag einzieht. Rund 13 Prozent der Stimmen entfielen auf die AfD, in manchen Gegenden Ostdeutschlands wurde sie sogar zweitstärkste Kraft vor der SPD.
Mich interessieren die Gründe nicht, aus denen mehrere Millionen Deutsche eine solche Partei gewählt haben. Ich will nichts von ihren Sorgen, Ängsten und Enttäuschungen hören. Ich möchte kein Verständnis dafür haben. Ich habe für sehr viele Dinge Verständnis – die Wahl einer rechten Partei gehört nicht dazu und wird auch niemals dazugehören.
Was mich viel mehr beschäftigt, ist, warum dieses Ergebnis nicht verhindert werden konnte. Seit Wochen, vielleicht sogar seit Monaten, wurde über den möglichen Einzug der AfD in den Bundestag geredet. Es war schon vor den abartigen Auswüchsen auf den Wahlveranstaltungen der großen Parteien in den vergangenen Wochen klar, dass viel Hasspotenzial in der Bevölkerung schlummert. Jeder wusste das. Selbst in den hintersten und politikfernsten Winkel unseres Landes musste es vorgedrungen sein, dass eine lautstarke Minderheit die Werte in Frage stellt, die Deutschland so lebenswert machen. Und dann das: Eine Wahlbeteiligung von etwa 77 Prozent.
Natürlich ist das mehr als noch 2013. Aber es sind mindestens zehn Prozent zu wenig. Was sind das für Menschen, die selbst in dieser Lage nicht den Hintern hochbekommen haben? Wie apathisch und faul muss man sein, um nicht die einzige demokratische Möglichkeit zum Verhindern dieser Katastrophe zu nutzen? Wie kann man freiwillig auf Teilhabe und Mitsprache verzichten und zulassen, dass eine braune Sippe viel mehr vom Kuchen abbekommt, als ihr zusteht?
Niemand braucht mir mit Politikverdrossenheit kommen. Es geht hier um Menschlichkeit, um die Freiheit des Einzelnen, um eine fortschrittliche Gesellschaft. Jeder, der nicht gewählt hat, hat indirekt die AfD gestärkt. Um das zu kapieren, brauchte man keinen Hochschulabschluss. Es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass sie es in dieser Lage nicht geschafft hat, ihre Bequemlichkeit zu überwinden. Offenbar geht es Deutschland so überragend gut, dass knapp 13 Prozent der Wahlberechtigten keine Lust hatten, etwas gegen den Rechtsruck zu unternehmen.
Um das klar zu sagen: Niemand war gezwungen, aus taktischen Gründen die Großparteien zu unterstützen, deren Politik man meinetwegen aus guten Gründen kritisieren darf. Es gibt in Deutschland so viele andere Parteien, die man wählen kann, wenn man weder Union noch SPD unterstützen will. Jede Partei, die gegen Fremdenhass und für Menschlichkeit einsteht, wäre möglich gewesen. Jede Stimme wäre ein Signal gewesen. Dass ich im Konjunktiv rede, ist die größte Enttäuschung an diesem Abend.