"Ist doch wahr", rief Georg lauter, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Diese Worte schafften es, die Umlaufbahn des Ecktisches im Wirtshaus Hohenwart zu verlassen und sich im gesamten Raum auszubreiten. Sie lockten allein durch ihre Existenz einige der anwesenden Gäste auf die Fährte ihres Absenders, woraufhin sich reihum Köpfe zu Georg umdrehten. Dieser trank noch einen Schluck Bier und widmete Erik anschließend wieder seine ganze Aufmerksamkeit. "Ist doch wahr", wiederholte er, diesmal eine Spur leiser.

"Was jetzt genau?", fragte Erik.

"Wie, was jetzt genau?"

"Ja, was jetzt genau wahr ist."

"Wovon rede ich denn die ganze Zeit? Hörst du mir nicht zu?"

"Doch, aber du redest ja von vier oder fünf Dingen gleichzeitig. Und plötzlich sagst du: Ist doch wahr!"

"Ja, weil's halt wahr ist!"

"Das glaube ich dir ja. Nur: Was genau?"

"Dass die meisten Leute langsam im Kopf sind!"

"Ah so", sagte Erik und trank seinerseits einen Schluck Bier. Rein taktisch betrachtet ein guter Schachzug.

"Ich meine, schau dir doch die meisten Leute auf der Straße mal an", fuhr Georg nach einer kurzen Bierpause fort. "Denen kannst du beim Denken wirklich zusehen. Wenn die mal mit etwas konfrontiert werden, das sie nicht kennen, dann beginnen da oben drin die Zahnräder zu rattern! Zum Beispiel, ich geb' dir ein Beispiel, also zum Beispiel habe ich ja bis vor ein paar Jahren noch in der Tankstelle gearbeitet in der Implerstraße."

"Ja?"

"Weißt du doch noch? Implerstraße? Die Tankstelle?"

"Ja freilich weiß ich das noch, du Depp. Ich war jede Woche ungefähr zweimal bei dir tanken!"

"Eben."

"Sag ich doch."

"Also: Stell dir vor, wie oft ich Leute beim Tanken durch das Fenster beobachtet habe. Dann kommen die rein und wollen zahlen, und wenn ich frage: 'Welche Nummer?', dann schauen die mich an, als wäre ich der Schah von Persien. Weil die zähe graue Masse bei denen im Hirn gar nicht auf die Idee gekommen ist, dass eine Zapfsäule eine Nummer hat. Dann frag ich: 'Welches Auto ist es denn?', und dann sagen die: 'Das Schwarze', und ich schau raus und seh' draußen drei schwarze Autos stehen. Und so geht es immer weiter. Die Leute sind einfach so lahm in der Birne, denken nicht mit. Zu nix sind die zu gebrauchen. Verstehst du?"

"Schon", sagte Erik und nahm vorsichtshalber noch einen Schluck von seinem Bier.

"Ist doch wahr, ehrlich."

"Schon."

"Und überhaupt!" - Für diese Worte hatte Georg den Lautstärkeregler wieder sachte nach rechts bewegt – "Und überhaupt, wie oft passiert es einem, dass man irgendwen etwas fragt, manchmal auch was ganz einfaches, und hört dann nichts außer: 'Öh' und 'Ähm', weil da oben im Oberstübchen erst einmal antiquierte Hardware hochgefahren werden muss. Pentium I mit Windows 95. Anstatt dass sie sagen: 'Da bin ich mir gerade nicht sicher' oder so was, was ja völlig in Ordnung wäre, anstatt also so etwas zu sagen, machen sie erstmal den Mund auf und stammeln irgendwas. Weil es zu mehr halt einfach nicht langt. Ich frage mich, wie meistern solche Leute den Alltag?"

"Tja, schon, also…", sagte Erik, verstummte und nahm aus nicht näher zu beschreibenden Gründen noch einen Schluck von seinem Bier.

"Neulich", hob Georg an, "ist es mir wieder passiert. Ich steig an der Giselastraße aus der U-Bahn aus, in einem Pulk von Leuten, bestimmt vierzig oder mehr. Alle wollen hoch, aber die Rolltreppe fährt runter. Warum nur? Hä, warum wohl? Warum?"

"Weil jemand auf ihr nach unten gefahren ist?"

"Ja, genau! Genau! Exakt! Genau! Ein einzelner Depp steht da und fährt auf der Rolltreppe abwärts, während unten hundert Leute stehen, die eigentlich gerne hochfahren würden. Und was macht der langsam denkende, abwärts fahrende Mensch auf der Rolltreppe? Hä? Was macht der?"

Erik zuckte mit den Schultern.

"Genau", schleuderte Georg in die Tiefe des Raums hinaus, "genau das macht der Mensch!"

"Hä?"

"Genau das!"

"Von was redest du?"

"Nix! Nix macht der Mensch! Glotzt blöd wie ein Fisch beim Anblick eines anderen Fisches. Schaut die Leute an, die unten warten, dass er endlich ankommt und die Rolltreppe ihre Richtung wechselt. Kommt nicht auf die Idee, sich zu beeilen, oder sein generelles Verhalten zu hinterfragen. Dafür hat's im Hirn nicht gereicht, weil die losen Kabelenden zufällig nicht aneinander geraten sind und die Funken gebildet haben, um den Motor in Gang zu bringen. Grauenhaft! Es ist so hart. Ich sag's dir, so hart!"

Georg trank sein Bier in einem mächtigen Zug aus.
"Echt hart", murmelte Erik zustimmend.

"Ist doch wahr!", fügte Georg hinzu.

"Schon."

"Aber was will man machen?"

"Wie machen?"

"Ja, was soll man tun gegen die Leute?"

"Gegen die Langsamen?"

"Gegen wen denn sonst, Mensch?"

"Keine Ahnung."

"Ich sag' dir, was man gegen diese Leute tun kann. Ich sag's dir! Pass auf!" Er starrte auf die Tischplatte vor sich und dachte angestrengt nach.

"Also?", fragte Erik vorsichtig.

"Ja, warte, gleich, ich denke noch nach", murmelte Georg.

"Soll ich dir derweil noch ein Bier bestellen?"

"Das wäre nett."