Nicht nur Oasis hatten damals richtig gute B-Seiten. Die Manic Street Preachers haben einen ihrer besten, lautesten und punkigsten Songs nie auf einem normalen Album veröffentlicht. Höchste Zeit, ihn ins Rampenlicht zu zerren.

Es gibt ja zu allem Experten, die alles besser wissen und das auch gerne raushängen lassen. Das sind dann die Typen, die US-Serien natürlich nur im englischen Original schauen und dir ungefragt spoilern, wie die Staffel endet. Das musikalische Gegenstück dazu wären die Nerds, die von ihren Lieblingsbands natürlich alle B-Seiten kennen und dir ungefragt erzählen, welche B-Seite so viel besser ist als Albumtrack XY von dem einen Album, das alle so toll finden.

Wobei: mit einer Sache haben diese Jungs (denn es sind zu 99 Prozent Männer) durchaus Recht haben: Es gibt Bands, deren B-Seiten qualitativ kaum hinter den Liedern auf "richtigen" Alben zurückstecken müssen.

An dieser Stelle muss ich für die Zu-Spät-Geborenen womöglich kurz ausholen: B-Seiten, das waren Lieder, die auf Maxi-CDs zusammen mit der eigentlichen Single erschienen, damit da nicht nur ein Lied drauf war. Maxi-CDs, ihr wisst schon... ach so, wisst ihr nicht? Na gut, dazu ein anderes Mal mehr.

Die bekanntesten B-Seiten-Verschleuderer waren vermutlich Oasis. Man muss schon ein scheunentorgroßes Selbstvertrauen haben, um großartige Songs wie "Acquiesce" und "The Masterplan" als Anhängsel auf CD-Singles zu verbraten. Damit zwangen die Gallagher-Brüder in den 1990ern ihre Fans dazu, sich die Maxi-CDs zu kaufen, um in den Genuss dieser tollen Lieder zu kommen. An deren Stelle hätte so mancher Albumtrack auf Oasis-Platten im Archiv bleiben können.

Und die Gallaghers waren beileibe nicht die Einzigen, die bärenstarke Lieder nicht auf ihre Alben, sondern auf Singles packten. Gerade Mitte bis Ende der 90er war es bei britischen Bands mehr oder weniger "en vogue", Maxis mit starken B-Seiten aufzuwerten.

Und schon sind wir bei "Prologue to History" angelangt, einem Hochkaräter, den die Manic Street Preachers als B-Seite auf ihre Hitsingle "If You Tolerate This Your Children Will Be Next" steckten, jener Single, mit der sie 1998 sogar in Deutschland zarte Erfolge feierten. Keine Frage, auf der Single hatte es "Prologue to History" neben dem großartigen Haupt-Song womöglich schwer, sich zu behaupten. Doch auf dem B-Seiten-Album "Lipstick Traces" von 2003, welches er eröffnen darf, zeigt der Song seine ganze Klasse. Selten waren die Manic Street Preachers so raubeinig, direkt und gleichzeitig virtuos unterwegs wie auf "Prologue to History".

Eine Band grüßt ihre Punk-Wurzeln

Ein stakkatohaftes Klavier-Riff eröffnet den Song, ehe die Gitarre dazwischen sägt und das Schlagzeug einen zackigen, tanzbaren Beat reinpfeffert. Und dann der Text, den James Dean Bradfield mehr schreit als singt: Ein Manifest, eine ganz und gar anti-nationalistische Ode des Stolzes auf die Heimat und gegen das Vergessen.
"Remember ethnic cleansing in the highlands / No one says a thing in the middle of Engerland / I'm bruised fruit but still taste so nice / But if you look at me you better look twice / I'm talking rubbish to cover up the cracks / An empty vessel who can't make contact"

Beim Hören dieses Manifests erinnert man sich, dass die Manic Street Preachers in den 1980ern als Punk-Band anfingen, ehe sie einige der größten Rockhymnen ihrer Generation verfassten. Hier erreichen sie das Energielevel ihrer Anfangstage noch einmal mühelos. All das ergibt mehr als die Summe seiner Teile, sondern ein bärenstarkes, echtes Lieblingslied, eines, das oft schmählich vernachlässigt und unterschätzt wird. Man muss kein Musiknerd sein, um "Prologue to History" toll zu finden. Man muss aber wohl einer sein, um es zu kennen. B-Seite und so, ihr wisst schon. Ein wenig schade ist das ja schon.

Hier eine Live-Version von "Prologue to History" vom Glastonbury Festival 1999:

Fotocredit für Artikelbild: Markus Unger / CC BY-SA 3.0