Eines der schönsten Lieder aller Zeiten entdeckte ich durch einen bloßen Zufall - als "weiteres Video" bei YouTube. Vielen Dank auch, lieber Algorithmus! Ein Lied, so anmutig und leicht wie der Wind, den es besingt.
Ich habe in meinem Leben schon viele zeitlos schöne Lieder gehört. Es sind Songs darunter, die mich schon seit vielen Jahren begleiten und einfach nichts von ihrem Zauber verlieren. Mit manchen verbindet mich eine Erinnerung oder eine persönliche Anekdote, andere sind einfach nur wunderbare Kompositionen oder – ein banaler Grund – sie machen gute Laune.
Von den Beatles und den Stones über Dave Brubeck, Bob Marley und Compay Segundo bis hin zu Lana Del Rey, Pearl Jam, Oasis und Tocotronic kommen meine Lieblingslieder aus ganz unterschiedlichen Stadtvierteln. Aber sie verstehen sich gut. Und doch passiert es immer wieder, dass sich neue Lieder in meine Nachbarschaft schleichen und sich auf Anhieb unentbehrlich machen. Zum Glück.
Wie mir der YouTube-Algorithmus Noir Désir vorstellte
So geschah es nämlich im Jahr 2014 durch puren, absurden Zufall. Ich stieß auf ein Lied von atemberaubender, schwermütiger Schönheit, das mich seitdem nicht mehr loslässt und mich auf allen Geräten, die Musik abspielen können, begleitet. Es ist die 2001 veröffentlichte Single von Noir Désir „Le vent nous portera“.
Diesen Fund habe ich ausschließlich dem YouTube-Algorithmus zu verdanken. Bei irgendeinem anderen Clip wurde mir das Lied als "weiteres Video" am Rand angezeigt und ich klickte aus purer Neugierde darauf.
Bis dahin wusste ich über Noir Désir nur wenig. Es war mir bewusst, dass sie eine der erfolgreichsten französischen Rockbands überhaupt sind. Ich hatte auch von der tragischen Geschichte um Sänger Bertrand Cantat gelesen, der 2003 im Streit seine Freundin erschlug und dafür ins Gefängnis wanderte, was de facto das Ende der Band bedeutete. Doch trotz starkem Interesse an Frankreich, zwei Jahren Französisch-Leistungskurs und der Tatsache, dass ich meinen 30. Geburtstag in Sichtweite diverser Promi-Yachten in St. Tropez verbracht habe (true story!), hatte ich mich nie dazu aufraffen können, mir etwas von Noir Désir anzuhören. Bis zu jenem Zufallstreffer bei YouTube.
Zerbrechlich, niedergeschlagen, hoffnungsvoll
Die schlimme Geschichte um Bertrand Cantat sagt zum Glück nichts über „Le vent nous portera“ aus. Der Song war in Frankreich die erfolgreichste Single von Noir Désir und schaffte es auf Platz drei der Charts. Wer das Lied hört, weiß sofort, warum. Gäbe es einen Wikipedia-Eintrag zum Thema "sanfte, zerbrechliche Schönheit", dann müsste „Le vent nous portera“ dort als Tonbeispiel auftauchen. Ohne den Umweg über die Ohren oder das Gehirn zu nehmen, geht dieses Lied mit seiner hypnotischen Melodie direkt ins Herz.
Die Mischung aus Niedergeschlagenheit und Optimismus ist so einzigartig wie betörend. Ein Zusammenspiel, das ich so noch bei keinem anderen Lied gehört habe. Cantat singt mit zarter Melancholie über das Schicksal und die Sterne, während im Hintergrund Offbeat-Gitarren den Rhythmus unterlegen. Eingespielt wurde dieser treibende Klangteppich im Übrigen von Manu Chao. Das Schlagzeug hält sich dezent im Hintergrund und bildet doch die gesamten viereinhalb Minuten das Fundament unter diesem schönen, zerbrechlichen Konstrukt. Und so schwebt „Le vent nous portera“ dahin wie der Wind, der besungen wird.
Eigentlich hätte dieses Lied auch bei uns und generell überhaupt auf der Welt ein Hit sein müssen. Aber ich bin froh darüber, dass es nicht so kam und dass mich nur der Zufall darauf gestoßen hat. Ich könnte diesen Song nicht so lieben, hätte ich ihn in Dauerschleife im Formatradio vorgesetzt bekommen, vielleicht noch in einer kastrierten und gekürzten Version, damit er ins dreieinhalb-Minuten-Schema passt. Nein, es ist schon gut so, wie es gekommen ist.
„Le vent nous portera“, auf Deutsch: „Der Wind wird uns tragen“, ist ein Meisterwerk von erstaunlicher Schönheit. Selten hat mich ein Lied so unmittelbar und über einen so langen Zeitraum berührt. Viele Künstler und Bands versuchen immer wieder, mit klischeehaften Balladen von der Stange beim Publikum zu landen. Sie verrennen sich in ihrem Kalkül und vergessen dabei, echtes Gefühl in die Lieder zu investieren. Noir Désir schaffen mit verhältnismäßig einfachen Zutaten – Gitarre, Bass, Schlagzeug, einer arabischen Flöte und Gesang – das Kunststück, Melancholie und Lebensfreude zu verbinden. Musik kann so schön sein.
Hier das Video zu "Le vent nous portera" - ebenfalls ein Meisterwerk.
Artikel aktualisiert am 22. April 2022 / erstmals veröffentlicht: 29. April 2014