Eigentlich hätte das kalifornische Tourismusamt die Red Hot Chili Peppers für dieses Lied entlohnen müssen: "Scar Tissue" ist die musikalische Verkörperung des "Sunshine State" und klingt zu einhundert prozent nach Sonne, Fahrtwind und Autofahrten auf endlosen Straßen. Gleichzeitig ist es aber auch ein perfekter Popsong, der bis heute nichts von seiner Atmosphäre verloren hat. Und das ist vor allem einer Person zu verdanken.
John Frusciantes großes Comeback
Mal geht er, dann kommt er wieder, dann geht er erneut, und tatsächlich kommt er noch einmal zurück. Die Beziehung zwischen John Frusciante und den Red Hot Chili Peppers als sprunghaft zu bezeichnen, ist eine Untertreibung der frechen Sorte. Aktuell ist er zum insgesamt dritten Mal zurückgekehrt, und das ist auch gut so.
Wer bei dem ganzen Hin und Her den Überblick darüber verloren hat, wann der Gitarrist denn nun Teil der Band war und wann nicht, braucht eigentlich nur eine Hörprobe vorzunehmen. Bei allen aufregenden, interessanten und, ja, auch erfolgreichen Alben der Chili Peppers war Frusciante dabei. Jedem hat er seinen Stempel aufgedrückt. Auf allen bewies er, warum er als einer der besten Rockgitarristen aller Zeiten gilt.
„Scar Tissue“ war die große Comeback-Single der Red Hot Chili Peppers und erschien 1999 als Vorbote zum Blockbuster-Album „Californication“. Für Frusciante war dieses Album die Rückkehr aus dem Drogensumpf, in dem er nach seinem ersten Ausstieg bei den Kaliforniern Mitte der Neunziger bis zum Hals gesteckt hatte. Mehr als einmal stand es auf der Schwelle zum Tod, schaffte dann aber doch den Absprung. Endlich clean und geläutert, traf auf frühere Bandkollegen, die ihn mit offenen Armen empfingen, nachdem zwischendurch ein Experiment mit dem Hardrock- und Metalgitarristen Dave Navarro unschön für alle Beteiligten geendet hatte.
Das ganze Album „Californication“ war also ein Befreiungsschlag. Einer, wie ihn nur wenige Bands hinkriegen. Zwar waren rückblickend betrachtet nicht alle Songs so gut wie die vier ausgekoppelten Singles. Die waren aber dafür richtig stark. Neben dem Titellied galt und gilt das besonders für „Scar Tissue“ - ein Song-Juwel, das so sehr nach Kalifornien, endlosen Autofahrten durch die weite Landschaft und warmem Fahrtwind klingt, dass es das dazugehörige Video eigentlich gar nicht gebraucht hätte, in dem all das vorkommt. „Scar Tissue“ ist ein nahezu perfekter Popsong mit wunderschöner Melodie, großartiger Gitarre und einer Atmosphäre, die ihresgleichen sucht.
Außerdem war die erste gemeinsame Veröffentlichung nach langer Pause gleich der beste Beweis, warum John Frusciante die Red Hot Chili Peppers zu einer so viel besseren Band macht. Mit seinem sanften Zwei-Noten-Riff gibt er schon im Intro die Grundstimmung vor, steuert in den Refrains wunderbare Background-Harmonien bei und schiebt zwischendrin noch insgesamt drei Gitarrensoli ein, die technisch vielleicht nicht allzu anspruchsvoll sind, dafür aber genau im richtigen Farbton malen.
In Kombination mit Chad Smiths knackigem Schlagzeug-Beat, dem wie immer grandiosen Bass von Flea und einer der besten Gesangsleistungen überhaupt von Anthony Kiedis ergibt das einen echten Klassiker.
„Scar Tissue“ war im Grunde der erste Song der Red Hot Chili Peppers, den ich richtig wahrnahm. Und er hat mich schon damals nachhaltig beeindruckt. Anders ist es nicht zu erklären, dass ich mich ein paar Jahre darauf bei meiner Abiturzeugnis-Verleihung auf einer Bühne wiederfand, wo ich eben dieses Lied, gemeinsam mit einem Mitschüler, auf der Akustikklampfe zum Besten gab (er spielte die Soli, ich die Begleitung) und dazu sang. Ein Auftritt, der den Landrat des Landkreises Rosenheim wenig später zu der Bemerkung veranlasste, dass es schön wäre, wenn alle jungen Leute so viel Einsatz zeigen würden wie "der verschwitzte Musiker eben auf der Bühne". That was me, baby.