Acht Minuten für die Ewigkeit: Weezer haben 1994 eindrucksvoll gezeigt, wie verträumt und wunderschön moderne Rockmusik klingen kann. Und was man unter „Crescendo“ versteht.

Wenn Nerds von der großen Liebe träumen

Die Geschichte hinter „Only in Dreams“ ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Seitdem der Homo Sapiens aufrecht gehen kann, gibt es Männer, die sich nach Frauen sehnen, die für sie unerreichbar sind. Und spätestens seit dem Mittelalter schreiben diese Männer Lieder über ihr Unglück. Es ist müßig, hier aufzuzählen, wie viel große (und nicht selten auch schlechte) Kunst aus dieser Konstellation entstanden ist.

Als Weezer 1994 die Bühne betraten, war die Welt um ein Stück großer Kunst reicher. Auf ihrem Debütalbum, das wegen seines Covers als „blaues Album“ in die Geschichte einging, wurde die Band um Rivers Cuomo zum Sprachrohr für eine besondere Untergruppe unglücklich Verliebter: die schüchternen Nerds. Mit Brillengestell auf der Nase, unmodischer Frisur, schrecklichen Klamotten, dem Herz am rechten Fleck und nicht dem Hauch einer Chance bei der lokalen High-School-Schönheit. Man kennt sie aus unzähligen US-Filmen, doch sie sind keine Erfindung aus Hollywood - es gab und gibt sie wirklich, nicht nur in den Vereinigten Staaten.

Dass das „blaue Album“ noch heute Kultstatus genießt, liegt aber nicht allein an den gewitzten, ironischen und teils verschrobenen Songtexten. Cuomo schüttelte die Ohrwürmer mit unglaublicher Lässigkeit aus dem Ärmel. Melodien für Millionen, unterlegt mit saftigen Alternative-Rock-Gitarren.

"Only in Dreams": Ganz anders als der Rest und trotzdem Weezer

Diese Mischung passte perfekt in die damalige Zeit: Der Riesenhit „Buddy Holly“ mit schwerer Fifties-Schlagseite, der gnadenlos gute Opener „My Name is Jonas“, die großartig schwermütige Ballade „Say It Ain't So“, die schräg rockende Debütsingle „Undone (The Sweater Song)“, das Nerd-Manifest „In the Garage“ oder „The World Has Turned And Left Me Here“ mit seinem wuchtigen Stampf-Beat – Klassiker, wohin das Auge reicht. Lieder, mit denen noch heute kein DJ in der Indie-Disco etwas falsch machen kann.

„Only in Dreams“ als letzter Titel auf dem Album klingt ganz anders als die erwähnten Songs und stammt trotzdem unverkennbar von der selben Band. Ganze acht Minuten nimmt sich dieses Epos Zeit, und fast die Hälfte davon kommt ohne Gesang aus. In der Mitte der Songs schwillt erst ein Instrumentalpart gemächlich an – und mündet nach langem Crescendo schließlich in ein furioses Gitarrensolo, welches das Lied sicher nach Hause geleitet. Acht Minuten lang spielt Matt Sharp das gleiche, unverwechselbare Bass-Riff. Acht Minuten lang schichtet die Band sanfte Klänge aufeinander, lässt dann breite Gitarrenwände drüberwalzen und nimmt anschließend wieder den Fuß vom Gas. Das tut sie so dermaßen unaufgeregt, dass man die Perfektion dahinter fast übersehen könnte.

Und dazwischen erzählt Rivers Cuomo die altbekannte Geschichte, aber auf wunderschöne Weise:

„Only in dreams
We see what it means
Reach out our hands
Hold on to hers
But when we wake
It's all been erased„

Natürlich ist „Only in Dreams“ für einen Rocksong verdammt lang. Während Progressive-Rock-Bands wie Dream Theater in acht Minuten dutzende Tempowechsel, Zwischenparts und anderen Schnickschnack unterbringen würden, suhlt sich „Only in Dreams“ wohlig wie ein Kätzchen in seiner traumhaft-leichten Aura. Es klingt dabei aber niemals langweilig. Ganz sicher ist „Only in Dreams“ der ungewöhnlichste Song, den Weezer je aufgenommen haben. In ihrer inzwischen doch schon sehr langen Karriere haben es Cuomo und Co zwar noch das eine oder andere Mal experimentell versucht (so wie auf dem eher missratenen „The Greatest Man That Ever Lived“ von 2008). Aber schnell wurde klar, dass sie am besten sind, wenn sie es simpel und eingängig halten.

Das macht „Only in Dreams“ so interessant: hier verleugnet die Band ihre Stärken in keinster Weise und klingt doch anders als davor und danach jemals wieder. Ein Unikum, ein Klassiker, ein wunderbarer Traum von einem Alternative-Rocksong. Acht Minuten für die Ewigkeit.

"Only in Dreams" bei YouTube anhören

Ein richtiges Musikvideo gibt es zu "Only in Dreams" nicht, da der Song (angesichts der Länge verständlich) nie als Single veröffentlicht wurde. Interessanterweise konnte ich auch kein richtig gutes Livevideo finden, obwohl Weezer den Song immer mal wieder performen. Aber die Studioversion tut es ja auch, und hier kann man sie in voller Länge anhören: