Stellung beziehen ist eigentlich ganz einfach. Man ist entweder für eine Sache oder dagegen. Also: Man findet es absolut OK, Fleisch zu essen oder man lässt es bleiben. Man hält die Kritik an Putin für übertrieben und die Berichterstattung für hysterisch, oder sieht in ihm tatsächlich einen Diktator, der den nächsten Weltkrieg anzetteln will. So weit die Theorie. Doch schon tun sich Probleme auf. Manchmal ist es eben nicht möglich, strikt für oder gegen etwas zu sein, weil es nun mal Abstufungen gibt, die als sinnvollere Meinung in Frage kommen. Und zum anderen stellt sich die Frage: Muss man immer und überall Stellung beziehen? Will man das überhaupt?

Das soll nun keineswegs ein Plädoyer für "Weiß ich nicht, geht mich nichts an" sein, denn die Welt hat weiß Gott genügend Probleme, die dringend angegangen werden müssen. Und doch verlangt die im blitzschnellen Internet-Zeitalter immer hektischer und hysterischer werdende mediale Öffentlichkeit von uns fast durchgehend eine Positionierung. Das hängt natürlich vor allem mit dem dramatischen Wert- und damit einhergehenden Qualitätsverlust des Journalismus zusammen. Ausgewogene Berichterstattung ist mittlerweile verdammt unsexy geworden, sie bringt entsprechend wenig Klicks, also wird sie fast nicht mehr praktiziert. Stattdessen schlagen sich die Medien oft auf eine Seite und lassen das in ihrer Berichterstattung auch deutlich einfließen. Von uns wird dadurch verlangt, dass wir uns auf dieselbe Seite stellen und diese Position möglichst auch ins Private mitnehmen. Dass wir dort Konflikte ausfechten, die womöglich gar nicht nötig wären. Auch zu Dingen, die uns eigentlich nicht betreffen, ja die uns im Grunde vielleicht nicht einmal interessieren. Wir müssen zu allem eine Meinung haben, da wir uns ja heutzutage auch über alles selbst informieren können. Früher war es absolut plausibel und auch legitim zu sagen: "Darüber weiß ich leider nichts, daher kann ich dazu auch keine Meinung abgeben." Heute geht das nicht mehr. Alle Informationen sind frei im Netz verfügbar. Das hat neben unbestreitbar vielen Vorteilen auch die Folge, dass es nicht mehr vieles gibt, das wir nicht beurteilen können.

Und wieder stellt sich die Frage: Wollen wir überhaupt zu allem eine Meinung haben? Sind wir überhaupt befugt dazu, alles zu kommentieren und jede Aktion zu bewerten? Ich kenne niemanden, den ich als ausgewiesenen Politik- und Militärexperten bezeichnen würde, und doch könnte jeder aus meinem Bekanntenkreis eine Meinung zum Ukraine-Konflikt abgeben. Freilich tut es nicht jeder ungefragt, und insgesamt ist es natürlich gut, dass wir selbst Geschehnisse in weit entfernten Teilen des Globus im Blick haben können. Doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Mit dem Wissen kommt die Verantwortung, Stellung zu beziehen. Diese Verantwortung ist auf Dauer ermüdend. Manchmal wäre es schön, einfach mal weniger Bescheid zu wissen und sich weniger Gedanken machen zu müssen.