Ein Streichholz genügt, um tausend Bäume in Brand zu stecken: In ihrem wohl besten Song erzählen die Stereophonics die Geschichte vom tiefen Fall eines Idols.
Ein junger Mann steht an der Bushaltestelle in irgendeiner namenlosen Kleinstadt. In seiner Hand die Tüten mit den Einkäufen. Eine Gruppe älterer Damen unterhält sich angeregt über irgend etwas. Was reden die da? Der junge Mann schnappt Wortfetzen auf und kann kaum glauben, was er da hört. Er wird die Geschichte in den nächsten Tagen aber immer wieder hören, denn sie verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt: Der Jugendtrainer des Fußballvereins, eine lebende Legende im Ort, soll sich in der Umkleide an einem kleinen Mädchen vergangen haben. Das Mädchen selbst hat es seinen Eltern erzählt, und von hier aus bahnt sich eine Welle der Wut und Empörung ihren Weg, die über den Trainer hinwegschwappt, seinen Ruf ruiniert, sein soziales Umfeld, sein ganzes Leben. Noch vor kurzem hing sein Name über dem Eingang zum Fußballplatz – eine Würdigung großer Verdienste. Nun wurde das Schild heruntergerissen, bespuckt, in den Staub geworfen. Und überall schütteln die Leute die Köpfe. „Er hat auch mich trainiert“, sagen sie. „Er hat mir gezeigt, wie man Fußball spielt. Warum er? Wie konnte das passieren?“
Das ist die Geschichte, die „A Thousand Trees“ erzählt, der erste Song auf dem ersten Album der Stereophonics. Ich liebe Lieder, die auch wirklich Stories erzählen und nicht nur Reime aneinanderreihen. Und nur wenige Lieder tun das so mitreißend und virtuos wie „A Thousand Trees“. In knapp über drei Minuten bringt die Band zum Einen die Erzählung vom tiefen Fall des lokalen Sportidols unter, liefert andererseits aber auch einen der hochklassigsten Rocksongs ab, die in den späten Neunzigern aus Großbritannien kamen. Ein kompakter Kraftwürfel von einem Lied, getragen von der damals noch kräftigen Reibeisen-Stimme von Kelly Jones. Und einem Refrain, der so viel mehr ist als nur ein Sinnspruch aus dem Poesiealbum:
„It only takes one tree / to make a thousand matches
Only takes one match / to burn a thousand trees“
„A Thousand Trees“ kommt wuchtig daher, aber auch herzerfrischend simpel. Ein paar geschrammelte Akkorde, scheppernder Beat, eindringlicher Gesang, fertig ist das Ding. Genau das fehlte zu jener Zeit in der britischen Rockszene, die sich einerseits in eine verkopfte Richtung entwickelte (Radiohead) und andererseits in abgehobene, pompöse Drogennebel-Sphären entschwand (Oasis, The Verve). Beides war nicht das Mittel der Wahl für die Stereophonics, deren im August 1997 veröffentlichtes Debütalbum „Word Gets Around“ also eine frei gewordene Nische besetzen konnte: Die der authentischen Rocker von nebenan, die echte Geschichten aus dem echten Leben erzählen.
Seitdem sind 25 Jahre ins Land gegangen, eine lange Zeit, in der so mancher musikalischer Output vom Zahn der Zeit gnadenlos abgenagt wird. „Word Gets Around“ nicht – es klingt immer noch erstaunlich frisch, ist bis heute ein Meilenstein und das beste Album der drei Waliser. Die Stereophonics sollten in den Jahren darauf recht schnell ihren Biss verlieren und zu einer eher durchschnittlichen, sich selbst kopierenden Band mutieren (lässt man vereinzelte Highlights wie „Dakota“, „Maybe Tomorrow“ oder „Mr Writer“ mal außen vor). Doch auf dem Debüt reihen sich noch die Klassiker aneinander: „Local Boy in the Photograph“, „Traffic“, „More Life in a Tramps Vest“, „Not Up to You“ und wie sie alle hießen. Aber keiner hat mich so gepackt wie „A Thousand Trees“. Damals wie heute ein Lieblingslied, zu dem ich immer wieder zurückkehre.