Das Wort „viral“ ist einer dieser Begriffe, mit denen viele Leute gerne um sich werfen, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich bedeuten. Ich weiß es jetzt. Denn ein einziger Tweet von mir, eine einzige Frage in gebrochenem Spanisch und 140 Zeichen hat ausgereicht, um mein E-Mail-Postfach fast zum Platzen zu bringen.
Um was ging es? Ich folge bei Twitter der bekannten kubanischen Bloggerin und Dissidentin Yoani Sánchez, deren Blog „Generación Y“ international große Beachtung genießt. Sie wird allgemein als die „Stimme der kubanischen Bevölkerung“ wahrgenommen, ihr Online-Tagebuch wurde von der Regierung mehrfach gesperrt, sie war einigen Schikanen ausgesetzt. Mittlerweile werden ihre Blog-Einträge aber von Raúl Castro und Konsorten toleriert. Das macht das Leben für Yoani Sánchez nicht einfacher, sorgt aber dafür, dass sie ihren Lesern auch weiterhin Einblicke in einen relativ abgeschotteten Staat im Umbruch geben kann. Man erfährt viel über das Kuba außerhalb der Touristen-Hochburgen in Varadero.
Seit meiner mehrwöchigen Kuba-Reise, die ich ja – Achtung: Eigenwerbung! – auch in einem Buch verarbeitet habe, interessiert mich die Situation auf dieser faszinierenden Insel sehr. Daher las ich heute mit Vergnügen, dass man Yoani Sánchez auf Twitter Fragen stellen konnte, die sie dann in maximal 140 Zeichen beantworten würde. Ich packte also mein bestes Volkshochschul-Spanisch aus und fragte einfach mal, wie sich ihrer Meinung nach die politische Situation auf Kuba entwickeln wird, wenn der Castro-Clan endgültig abtritt. Und das wird ja aus biologischen Gründen nicht mehr allzu lange dauern.
Yoani antwortete schon nach wenigen Minuten. Sinngemäß schrieb sie, dass die politische Zukunft in den Händen der Bevölkerung liegen wird, aber dass es auf Kuba definitiv mehr Demokratie und Menschenrechte geben wird als jetzt. Außerdem retweetete sie meine Frage, nahm sie also in ihr Profil auf. Und die Lawine kam ins Rollen.
In den nächsten Stunden wurde mein Tweet von unzähligen anderen Usern gelesen, weitergereicht und beantwortet. Es entstand eine lebhafte Debatte über die politische Ausrichtung Kubas nach dem sich abzeichnenden Ende des Sozialismus. Total viral. Fast im Minutentakt trafen die Benachrichtigungen von Twitter in meinem Postfach ein. Mein Text verselbständigte sich, wanderte durch die Weiten des Internets und erreichte immer neue Leute, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Genauer gesagt erreicht er immer noch Leute – zur Stunde, in der ich dies schreibe, wird mein Tweet immer noch geteilt und favorisiert.
Ach so, wie ist denn nun die Meinung der Twitter-Community? Die Mehrheit der Tweets, die ich verstehen konnte (fast alle sind auf Spanisch, ein paar sogar auf Portugiesisch), ist der Mehrheit, dass sich Kuba erst einmal von den Verwüstungen des Kommunismus erholen muss und dann versuchen muss, eine Situation wie in Venezuela mit Nicolas Maduro zu vermeiden. So ähnlich sehe ich das auch. Ich befürchte aber insgeheim auch, dass sich die großen internationalen Handelsketten und Franchise-Unternehmen nach dem Ende des Sozialismus schnell auf Kuba breit machen werden, und dass das Land so ein Stück von dem verlieren wird, was es so einzigartig macht. Dann wird es in Havanna genauso Starbucks und McDonald’s geben wie in jeder anderen großen Stadt auch. Schade. Aber bei Twitter werde ich mich erst einmal nicht mehr dazu äußern.