Vor etwa drei Wochen ist mein Sammelband "Zufällige Bekanntschaften" erschienen. Zeit, Bilanz zu ziehen: Was hat sich seitdem in meinem Leben verändert? Die Antwort: Nichts. Aus dem Spiegel blickt mich immer noch das selbe Gesicht an, was je nach Sichtweise gut oder schlecht ist. Und doch begleitet mich seit etwa drei Wochen natürlich ein schönes Gefühl. Denn ich habe ja nicht nur ein eBook veröffentlicht, wie schon das ein oder andere Mal zuvor. Nein, diesmal ist es zusätzlich auch noch ein gedrucktes Buch. So ein richtiges Buch, das man aufschlagen, durchblättern, auf den Kopf stellen und sogar lesen kann. Eines mit Cover und über 200 Seiten. "Zufällige Bekanntschaften" ist mehr als nur eine Sammlung verschiedener Geschichten, es ist ein Projekt, das notgedrungen ohne Verlag entstanden ist und in das ich also von vorne bis hinten viel Zeit und Herzblut investiert habe. Darauf bin ich durchaus ein wenig stolz.

An dieser Stelle einige Hintergrundinfos und Details zu den sieben Erzählungen im Sammelband. Ihre Entstehungsgeschichten unterscheiden sich ziemlich und sie haben den Autor (Hinweis der Redaktion: mich) mal mehr, mal weniger Nerven und Haare gekostet.

Die Sache mit Raphaela

In seiner ursprünglichen Form entstand "Die Sache mit Raphaela" im März 2014. Inspiration war das Kurzgeschichten-Turnier auf Bookrix.de, an dem ich damals teilnahm und das mit einer ziemlich klar definierten Themenstellung aufwartete: Ein alter Schulfreund steht nachts mit einer Tasche vor der Tür. Was passiert dann? Nun, bei mir entwickelt sich daraus die Geschichte einer nur unzureichend verarbeiteten Jugendschuld. Mir war es jedoch auch wichtig, nicht den moralischen Zeigefinger zu heben und auch dem Benachteiligten in dieser Geschichten - nämlich Thomas - die Möglichkeit zum Sarkasmus zuzugestehen. "Die Sache mit Raphaela" schrieb sich recht flott und war in wenigen Tagen im Kasten. Allerdings wurde der Text für die Aufnahme in den Sammelband, genau wie alle anderen, durchaus stark überarbeitet. Was zugegebenermaßen auch bitter nötig war.

Der Ballon

Und wieder ein Text für das Kurzgeschichtenturnier. Wenn ich mich recht entsinne, war es sogar das selbe Turnier wie bei "Die Sache mit Raphaela", nur eine Runde später. Also ebenfalls Anfang 2014. Die Themenvorgabe war, dass es um Arroganz gehen sollte. Entsprechende Züge trägt Peter Schneider, alias der Ballon, ja auch überaus deutlich. Allerdings besteht bei einem solchen Thema schnell die Gefahr, ins Plakative abzugleiten. Schneider sollte kein aufgeblasener Klischee-Millionär aus der ARD-Vorabendserie sein, der Zigarren qualmt und mit bösartiger Lache seine geknechteten Untergebenen ausbeutet. Ich wollte ihn etwas vielschichtiger anlegen und ihm nicht nur eine zynische, sondern auch eine ehrlich-emotionale Seite verpassen, die hinter dem Panzer zum Vorschein kommt. Das Ende der Geschichte wurde für die Aufnahme in den Sammelband geändert und gekürzt. Ursprünglich nahm die Erzählerin das Schicksal Peter Schneiders nämlich durchaus emotionaler zur Kenntnis. Aber ich bin nachträglich zu der Einsicht gekommen, dass dieses Ende der vorangegangenen Handlung nicht gerecht wurde. Also jetzt die glaubwürdigere - und abruptere - Variante.

Tunnelnovelle

Meine erste Geschichte mit mehreren Kapiteln - wenn auch die sieben Abschnitte in der "Tunnelnovelle" reichlich kurz sind. Ob es sich hier nach streng-formalen Kriterien um eine Novelle handelt, sei dahingestellt und ist mir letztlich auch nicht wichtig. Im Sinne eines Arthur Schnitzler kam mir die Handlung vor wie die einer Novelle, und außerdem gefiel mir der Titel recht gut. Der Text erschien erstmals im Oktober 2014, und wenn ich mich recht entsinne, habe ich durchaus einige Tage oder gar Wochen daran herumgeschrieben, bis ich zufrieden mit ihm war. Von allen Geschichten, die es in den Sammelband geschafft haben, habe ich hier am wenigsten überarbeitet, nämlich so gut wie gar nichts. Die "Tunnelnovelle" basiert natürlich nicht auf einer wahren Begebenheit. Aber den Namen Werner Leitner habe ich mir tatsächlich abgeschaut. So hieß nämlich ein Fake-Account bei Facebook, mit dem ich früher zu tun hatte - und außerdem lustigerweise der Strafverteidiger des früheren FC-Bayern-Abwehrspielers Breno in dessen Gerichtsprozess wegen Brandstiftung. Noch interessanter ist, was dies alles mit der Handlung der "Tunnelnovelle" zu tun hat. Nämlich gar nichts.

Ein Traum von Paris

Eine Erzählung, auf die ich immer noch stolz bin. Ich habe lange an ihr herumgeschrieben und sie oft überarbeitet - auch jetzt für den Sammelband wurde noch einmal einiges weggekürzt und das Ende radikal umgeändert. Der Kern der Handlung blieb dabei aber immer der selbe, auch der Hauptkonflikt zwischen den beiden Protagonisten Valentin und Clara. Wobei der Konflikt ja letztlich nur in einer Richtung besteht - zumindest auf der Oberfläche. Ich wollte das "widernatürliche" in Valentins Verlangen bewusst nicht allzu deutlich herausstellen, und erst recht nicht ging es mir darum, ihn dafür anzuprangern. Letztlich war mir bei "Ein Traum von Paris" vor allem wichtig zu zeigen, wie sehr sich der Mensch sein Weltbild zusammenfantasiert und wie einfach es zum Einsturz zu bringen ist. Geschrieben habe ich "Ein Traum von Paris" im Sommer 2014 an vielen Orten in München, zum Beispiel am Schwabinger Bach im Englischen Garten, an einem sonnigen Nachmittag im Denninger Anger - und natürlich auch in dem ein oder anderen Café. Aber nicht in dem selben, in dem die Handlung spielt.

Der Andere

Puh, was für ein Brocken. Meine bis heute längste Erzählung ist auch die mit Abstand komplizierteste, was ihre Entstehung angeht. An "Der Andere" schrieb ich mit Sicherheit mehrere Monate lang, bis ich die Geschichte endlich in einer Form hatte, wie sie mir gefiel. Und dann änderte ich doch nochmal so ziemlich alles um. Inspiriert wurde ich durch die Lektüre von José Saramagos "Der Doppelgänger" während meines - nebenbei bemerkt wunderschönen - Portugal-Urlaubs im Sommer 2014. Die Art, wie Saramago Wirklichkeit und Illusion vermischt hat, gefiel mir außerordentlich - und ohne dass ich es bewusst plante, färbte diese Herangehensweise auf mich ab. Ursprünglich hatte "Der Andere" einen weitaus ironischeren und süffisanteren Ton als jetzt. Und einen Erzähler, der die Handlung immer wieder kommentierte. Eben so, wie es Saramago im "Doppelgänger" macht. Aber mit jeder der zahlreichen Überarbeitungen, die ich an "Der Andere" vornahm, fiel dieses Stilmittel mehr und mehr hinaus, weil ich immer weniger fand, dass es zu der Handlung passt. Ich hatte den Eindruck, als würde das manische und verzweifelte in Robert Gärtners Leben, als würde sein Verfolgungswahn unter dem Erzählton leiden. Also habe ich alles etwas nüchterner gefasst. Das Ergebnis ist nicht nur die längste, sondern mit Sicherheit auch die ungewöhnlichste Geschichte, die ich bis jetzt geschrieben habe. Ich finde sie immer noch gut. Aber ich bin ja auch nicht neutral. Übrigens: Nicht nur hier ist der Name der Hauptfigur alles andere als zufällig gewählt. Wer öfter Krimis liest oder alte Edgar-Wallace-Verfilmungen ansieht, weiß schließlich, wer im Normalfall immer der Mörder ist. Nämlich ...

Das Abendessen am Meer

Der Last-Minute-Neuzugang. Erst relativ spät rutschte "Das Abendessen am Meer" noch in den Sammelband hinein. Aus dem ganz einfachen Grund, dass ich ihn erst im Juni 2015 überhaupt geschrieben habe. Anlass war das 79. Wortspiel auf www.bookrix.de mit der Themenvorgabe: "Das Licht am Ende des Tunnels". Und, was soll ich sagen: Was ich schrieb, hat allen gefallen. Zu meinem Sieg beim Wortspiel hatte ich ja an anderer Stelle schon einmal ein paar Sätze verloren.

Zufällige Bekanntschaften

Wäre das hier ein Album, dann hätten wir hier den Titeltrack. Bei vielen großen Werken der Musikgeschichte ist der Titelsong eine epische, ausufernde Nummer. Das trifft auf "Zufällige Bekanntschaften" mit Sicherheit nicht zu. Aber es stimmt durchaus, dass sich dieser Text von allen anderen im Sammelband unterscheidet. Ich verrate wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, dass "Zufällige Bekanntschaften" tatsächlich während einer Zugfahrt entstanden ist. Und dass ich ebenso genervt war von meinen Mitreisenden, wie es der Protagonist ist. Trotzdem sollte man nicht den Fehler machen, Autor und Hauptfigur gleichzusetzen. Auch sind die Figuren in der Geschichte allesamt frei erfunden - bis auf die Tatsache, dass auch ich es mit einer betrunkenen Fränkin mit unerträglich lauter Stimme und Lache zu tun hatte. Aber das war es dann auch schon. Für die Aufnahme in den Sammelband, dem sie den Namen lieh, habe ich die Story an einigen Stellen überarbeitet und gekürzt. Unter anderem wurde das Ende deutlich umgeschrieben, damit das Zwiespältige im scheinbar so selbstsicheren Wesen des Erzählers besser zum Vorschein kommt. Und damit am Ende die Frage, ob er nun etwas zu der Blondine sagen wird oder nicht, offen bleibt. Ich verrate nicht, wie es weitergeht. Zum Schluss noch diese historisch wertvolle Info: Meine Zugfahrt, auf der ich diesen Text in Grundzügen (sic!) verfasst, war von München nach Berlin und fand im Frühjahr 2013 statt. So, nun ist es raus.

Lust bekommen? Hier gibt es den Sammelband zu kaufen.